Apokalyptische Hoffnung gegen das Klima der Verzweiflung?

Oder Warum ich die Letzte Generation unterstütze

Schau an, Gott spaltet die Erde und verwüstet sie,
Gott entstellt ihr Antlitz um und zerstreut, die auf ihr wohnen.

Die Erde trauert und verwelkt, der Erdkreis vertrocknet und zerfällt.
Die Großen der Oberschicht verwelken.
Die Erde ist entweiht durch die, die sie bewohnen,
denn sie haben die Weisungen übertreten,
ihnen entglitt die gesetzte Ordnung
und sie brachen den ewigen Bund.
Deshalb frisst ein Fluch die Erde,
und die, die auf ihr wohnen, müssen die Schuld abtragen.
Deshalb schwindet die Zahl derer, die auf der Erde wohnen,
und es bleiben wenige Menschen übrig.

Zerstört ist die Stadt des Chaos,
verschlossen ist jedes Haus, ohne Zugang.
Geschrei nach Wein ist in den Gassen.
Jegliche Heiterkeit geht unter, die Freude der Erde ist ausgewandert.

Schlecht, gar schlecht geht es der Erde.
Bebend bebt die Erde.Wankend wankt die Erde.
Schwankend schwankt die Erde wie eine Betrunkene,
sie bewegt sich wie eine Nachthütte:
Auf ihr lastet schwer ihre Verfehlung.
Sie fällt und kommt nicht wieder hoch.

Dann wird Gott für alle Völker auf diesem Berg
ein Gastmahl mit fetten Speisen bereiten, ein Gastmahl mit altem Wein,
fett und gut gewürzt, mit altem, gereinigtem Wein.
Gott wird auf diesem Berg den sichtbaren Schleier vernichten:
den Schleier, der über allen Völkern liegt,
die Decke, die alle Nationen bedeckt.
Gott hat den Tod dauerhaft vernichtet.
Gott, wird die Tränen von allen Gesichtern abwischen,
die Schmach ihres Volkes wird sie von der ganzen Erde wegnehmen,
denn Gott hat gesprochen.
An jenem Tag werden die Leute sagen:
Schau doch, dies ist unsere Gottheit. Wir hoffen, dass sie uns befreit.
Das ist Gott, unsere Hoffnung.
Wir wollen jubeln und uns freuen, wenn Gott hilft.
Die Hand Gottes wird auf diesem Berg ruhen, und Moab wird unter ihr zerdrückt.

Verse aus Jesaja 24-25

Das Bewusstsein der Klimakrise begleitet bereits mich mein ganzes Leben. Ich wurde 1992 im Jahr des Rio Umweltgipfels geboren und hatte ein Bilderbuch davon. Aufgewachsen bin ich mit Filmen wie „The Day After Tomorrow“ und „Eine Unbequeme Wahrheit.“ Im Vorfeld des Klimagipfels in Kopenhagen 2009 organisierte ich an meinem Gymnasium einen Flashmob als Teil einer weltweiten Mobilisierung, um unsere Politiker zu entschlossenem Handeln zur Begrenzung der CO2-Emissionen aufzufordern. Doch Kopenhagen kam und ging, ohne dass es zu der radikalen Senkung der Emissionen kam, die wir gebraucht hätten, um den Anstieg der globalen Temperatur auf einem „akzeptablen“ Niveau zu halten. Vor jedem weiteren Gipfeltreffen habe ich mir Hoffnungen gemacht, und spürte, wie ich danach immer verzweifelter in die Zukunft blickte.

Und nicht nur ich. Die kognitive Dissonanz zwischen dem wachsenden Bewusstsein für die Klimakrise und der hartnäckigen Weigerung von Politiker:innen und Unternehmen, in der angemessenenen Eile zu reagieren, hat ein Klima der Verzweiflung geschaffen. Die einzige Zukunft, die wir uns vorstellen können, ist düster; das Wort, das oft verwendet wird, ist „post-apokalyptisch“.

Aber „Apokalypse“ bedeutet nicht „Ende der Welt“ – auch wenn die meisten Menschen – auch in der Kirche – dies glauben, „Apokalypse“ ist ein griechisches Wort und bedeutet „Enthüllung“. In der Bibel finden wir an vielen Stellen apokalyptische Literatur, etwa im Danielbuch, in den Evangelien und Paulusbriefen und im letzten Buch der Bibel, der Apokalypse des Johannes. Diese Texte wurden von Menschen geschrieben, die im Schatten eines Imperiums lebten, das ihre Ökosysteme und traditionellen Lebensweisen bedrohte. Wie eine Gleitsichtbrille lässt sie uns zwei Realitäten gleichzeitig sehen:

  1. Sie entlarvt die Realität der Gewalt und Ungerechtigkeit und
  2. zeigt gleichzeitig die Möglichkeiten einer anderen Welt auf.

Ihr Ziel ist es nicht Angst zu schüren, sondern Hoffnung zu wecken und zum unerschütterlichen Widerstand gegen die todbringenden Mächte des Imperiums zu inspirieren. „Wenn wir Augen haben, um zu sehen, und Ohren, um zu hören,“ finden wir in der apokalyptischen Literatur ein wirksames Gegenmittel gegen das von der Politik der Verleugnung hervorgebrachte Klima der Verzweiflung. Dies gilt insbesondere deshalb, weil apokalyptische Texte entgegen einem anderen weit verbreiteten Missverständnis voller ökologischer Sorge um die Bewahrung der Schöpfung sind.

Unser Text aus Jesaja, der am Anfang dieser apokalyptischen Tradition steht, zeigt diese ökologische Perspektive eindrücklich.

Oft schrecken wir vor apokalyptischen Texten zurück, weil wir nicht wissen, wie wir sie lesen sollen. Sie sind für uns schwer zu verstehen. Aber wenn wir einmal hinhören, schrecken wir aus anderem Grund zurück: klingen diese alten Worte nicht allzu erschrecken passend zu den Problemen, die wir sehen?

Wir wissen, dass „die Erde trauert und verwelkt“, weil wir sie auf unzählige Arten verschmutzt haben. Wir sind uns bewusst, dass der Erdkreis vertrocknet und zerfällt.; wir spüren, wie sie schwankt und taumelt, wie jemand, der trinkt, um den Schmerz zu vergessen, und wir haben Angst, dass sie, wenn sie fällt, nicht wieder aufsteht. Wir fürchten, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel die Fenster des Himmels öffnet und die Grundfesten der Erde erzittern und zerbrechen lässt, sodass der Planet unbewohnbar wird.

Vielleicht ist es in Wirklichkeit dies, was diesen Text für uns so schwierig macht: Es ist nicht so, dass wir ihn nicht verstehen, sondern dass wir befürchten, er könnte wahr sein.

Aber dieses radikale Aussprechen der Wahrheit ist genau der Grund, warum wir apokalyptische Texte brauchen. Nur in ihrer radikalen Kritik können wir hoffen, an die Wurzel (lat: radix) unserer ökologischen Krise zu gelangen. Der Text führt uns zu der Frage: Wer verursacht diese Zerstörung? Ist es Gott oder der Mensch? Im ersten Vers heißt es: „Gotta spaltet die Erde und verwüstet sie,“. Aber haben wir nicht schon die ganze Zeit über den von Menschen verursachten Klimawandel gesprochen? Ist dieser Text etwa eine Entschuldigung für den Menschen?

Doch wenn wir genau hinsehen, entschuldigt der Text den Menschen überhaupt nicht. Er sagt ganz klar, dass es die Menschheit ist, dass wir es sind, die „die Gesetze übertreten, die Satzungen verletzen, den ewigen Bund brechen“, was wiederum „den Fluch [verursacht], der das Land verschlingt.“ 

Diese beiden Begriffe – „Fluch“ und „ewiger Bund“ – sind Schlüsselwörter. Sie führen uns ganz an den Anfang der Geschichte zurück: in die Genesis.

Sie erinnern uns daran, dass

  • am Anfang Adama und Adam, Erde und Erdling, eng miteinander verbunden, ja aus demselben Material gemacht waren.
  • das Land zum ersten Mal verunreinigt wurde: als es mit dem Blut von Abel, dem ersten Hirten, getränkt wurde. Vergossen von seinem Bruder Kain, dem erste Bauer.
  • Gott den Schrei der durch Abels Blut verunreinigten Erde erhörte und wie Kain, der erste Mörder, aus dem Land vertrieben wurde und den ersten Stadtstaat gründete.
  • diese Stadtstaaten auf dem Rücken ihrer Umgebung lebten und Land, Tiere und Menschen ausbeuteten, bis Gott die Schreie der stöhnenden Schöpfung hörte und eine Flut schickte.
  • Gott Noah und seine Familie auserwählte, um die Tiere auf dem Land und in der Luft durch den Bau der Arche vor dem Aussterben zu bewahren, und wie Gott nach der Flut einseitig abrüstete, indem er den Regenbogen an den Himmel hängte und einen ewigen Bund mit der Menschheit schloss, in dem er versprach: „Solange die Erde besteht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“

Um es mit den Worten der modernen Klimawissenschaft zu sagen: Gott verspricht ein stabiles Klima.

„Fluch“ und „ewiger Bund“ erinnern uns also daran, dass, obwohl es die Menschheit war, die als erste die Erde durch Blutvergießen verschmutzte (und dies auch weiterhin tut), Gott konsequent am Werk ist, um den Schaden, den wir der übrigen Schöpfung und uns selbst zufügen, zu begrenzen und uns zur ökologischen Vernunft zurückzuführen. Ausgehend von diesen Beobachtungen, können wir bei der Lektüre des restlichen Teils der Jesaja-Apokalypse darauf achten, wie Gott unsere Fähigkeit zur Verschmutzung einschränkt und uns zurück in die Beziehungen ruft.

Zunächtst fällt auf, dass die Stadt, die hier zerstört wird, „Stadt des Chaos“ genannt wird. Das hebräische Wort für „Chaos“ ist hier „tohu“. Manche kennen vielleicht den hebräischen Ausdruck tohuwabohu“ – damit wird im Schöpfungsbericht in Genesis 1 die „formlose Leere“ der Erde vor Gottes schöpferischem Akt beschrieben. Im alten Orient war „Chaos“ das Gegenteil von „Schöpfung“. Schöpfung“ bedeutete, die Dinge zu ordnen, indem man sie voneinander trennte, wie es Gott im Schöpfungsbericht tut, oder wie eine Stadtmauer das geordnete Innere vom chaotischen Äußeren zu trennen. Aber wenn Städte Orte der Ordnung sind, was ist dann eine „Stadt des Chaos“?

Indem Jesaja die Stadt eine „Stadt des Chaos“ nennt, behauptet er, dass sie eine Art „Anti-Schöpfung“ ist. Sie mag geordnet und ordentlich erscheinen, und die Menschen mögen über die Bedeutung von „Recht und Ordnung“ sprechen, aber Jesaja sagt, dass diese „Ordnung“ der Stadt des Chaos der Schöpfung entgegengesetzt ist und zum Ende des Lebens selbst führen wird.

Um die Symbolik dieser Aussage zu verstehen, müssen wir uns fragen: Was ist so schlimm an Städten?

In der Antike waren Städte die Orte, an denen Ressourcen und Macht konzentriert werden konnten, an denen Wasser gestaut und kanalisiert werden konnte und von denen aus die Ausbeutung von Menschen und Land durch Schwert, Schulden und Unterhaltung organisiert werden konnte. Ein anderer Name für diese Dynamik ist Imperium.

Heutige Städte sind ambivalenter. Sie können Orte sein, an denen das Imperium sichtbar ist und seinen Briefkasten hat – wie etwa die Frankfurter Börse -, oder sie können schon vor Jahrzehnten vom Imperium aufgegeben worden sein – man denke nur ans Frankfurter Bahnhofsviertel, oder große Teile Ostdeutschlands. Im Laufe der Geschichte war das Imperium bemerkenswert anpassungsfähig und hat viele Formen angenommen. Heute nimmt das Imperium vor allem die Form des Kapitalismus und multinationaler Konzerne an, die keinen Boden unter den Füßen haben und gleichzeitig alle Orte nach ihren Wünschen gestalten.

Heute ist die Stadt des Chaos präsent, wenn Ölkonzerne wie Exxon und Kinder Morgan weiterhin staatliche Genehmigungen und Kredite von Banken, wie der deutschen Bank für den Bau von Pipelines erhalten, obwohl die verbleibenden fossilen Brennstoffe im Boden bleiben müssen, um die globale Erhitzung in akzeptablen Grenzen zu halten. Die indigenen Wasserschützer in Standing Rock und jetzt an der Bayou Bridge und anderen Pipelines wurden von einer Lakota-Prophezeiung über eine schwarze Schlange inspiriert, die über das Land schlüpfen, die heiligen Stätten entweihen und das Wasser vergiften würde, bevor sie die Erde zerstören würde. Sie sehen diese schwarze Schlange in den Pipelines, die in ihr Land eindringen. Man könnte also von der Pipeline des Chaos sprechen. Durch die Zerstörung der Stadt oder der Pipelines des Chaos setzt Gott der ökologischen Verwüstung durch das Imperium ein Ende.

Das Ende der Stadt des Chaos ist eine gute Nachricht für alle, die auf der Seite der Schöpfung stehen, so wie es eine gute Nachricht ist, wenn diese Pipeline-Projekte gestoppt werden oder in Konkurs gehen.

Ich möchte nicht missverstanden werden. Das Ende einer todbringenden Industrie als gute Nachricht zu bezeichnen, bedeutet nicht, die Arbeiter:innen in diesen Industrien nicht zu respektieren. Es ist eine Form der Trauer über die Art und Weise, wie Armut und fehlende Alternativen arme Menschen dazu gezwungen haben, ihre eigene Gesundheit und die Gesundheit des Planeten zu opfern, um ihre Familien zu versorgen.

Klimagerechtigkeit beginnt in der Tat mit Trauer, wie unser Text weiß.

Es ist leicht, die Tränen, die Gott abwischt, zu übersehen oder sie als allgemeines menschliches Leiden zu verharmlosen.

Aber was sind das für Tränen, wenn nicht Tränen für uns alle, die wir in der Stadt des Chaos gefangen sind?

Das „Leichentuch“ und das „Tuch“, die Gott im Text vernichtet, werden mit Trauer assoziiert, ähnlich wie die Bewohner von Ninive Asche und Sackleinen trugen, nachdem Jona die Zerstörung ihrer Stadt wegen ihrer imperialen Sünden prophezeit hatte.

Und wie in Ninive hat die aufrichtige Trauer der Gläubigen tiefgreifende Folgen. 

Das Vorhandensein bestimmter Kleidungsstücke deutet auf eine Praxis der Trauer hin, die pber spontane Trauer hinausgeht.

Trauer ist etwas anderes als Verzweiflung. Verzweiflung lässt den Körper erstarren. Trauer ist ein Weg, aus den lähmenden Zyklen der Verzweiflung und des Traumas auszubrechen. Trauer ist ein Weg, sich der Wahrheit zu stellen, ohne gelähmt zu werden.

Es kann beängstigend sein, sich der Trauer zu öffnen. Es gibt so viel zu betrauern: all die Menschen, Ökosysteme, ganze Arten, die wir bereits verloren haben; unsere Untätigkeit in der Vergangenheit; unsere Hindernisse in der Gegenwart. Und angesichts der Tatsache, dass unsere Untätigkeit einen unumkehrbaren Klimawandel verursacht hat, wissen wir, dass es noch mehr Gründe zum Trauern geben wird.

In der Trauer verpflichten wir uns, derer zu gedenken, die wir verloren haben, und für die Lebenden zu kämpfen. Noch wichtiger ist, dass wir ohne Trauer und ohne die Verarbeitung dieser Emotionen nicht frei sein werden, die eigentlichen Ursachen des Klimawandels anzugehen: unsere Sucht nach immerwährendem Wachstum.

Diese Sucht wird genährt einerseits durch die Verfügbarkeit fossiler Brennstoffe, aber noch existenzieller, durch unsere kolonialisierte Vorstellungskraft, die an den Mythos der Knappheit glaubt: an eine Welt, in der es nicht genug gibt, um die Bedürfnisse aller zu erfüllen. Ohne Trauer ist es immer noch einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus.

Das Fest – Fülle und Freude inmitten der Krise kultivieren

Der Mythos der Knappheit ist für die Gesundheit des Imperiums unerlässlich. Ohne den Mythos der Knappheit wäre das Imperium nicht in der Lage, unsere Existenz und unser Wohlergehen von von ihm diktierten Bedingungen abhängig zu machen, und uns so gefügig zu machen.

Dieser Mythos der Knappheit ist eine weitere Art und Weise, wie das Imperium die Antithese zur Schöpfung ist.

Nirgendwo wird dies deutlicher als in den Manna-Geschichten des Exodus: Nach Hunderten von Jahren der Sklaverei im ägyptischen Reich muss Israel lernen, sich auf die Versorgung durch Gott zu verlassen. Sie wissen nicht, wie sie in dem Land, in dem sie umherziehen, leben sollen, und wollen „zurück zu den Fleischtöpfen Ägyptens“ gehen. Aber Gott versorgt sie mit genügend Nahrung, und als sie lernen, nur das Nötigste mitzunehmen und innerhalb ihrer Grenzen zu leben, erkennen sie langsam, dass es selbst inmitten der Wüste Überfluss gibt.

Im Jesaja-Text steht das Mahl, das Gott bereitstellt, im Gegensatz zu dem Mangel, welcher die Stadt des Chaos kennzeichnet. In der Stadt herrschte ein Mangel an Wein, aber hier bietet Gott „ein Festmahl mit reichhaltigen Speisen, ein Festmahl mit gut gereiften Weinen, mit reichhaltigen Speisen, die mit Mark gefüllt sind, mit gut gereiften Weinen, die klar sind“. Und dieses Festmahl ist nicht nur für eine ausgewählte Gruppe von VIPs; hier gibt es keinen Türsteher. Gottes Fest ist für alle da, vor allem für diejenigen, die den Exodus aus der Stadt des Chaos geschafft haben!

Das ist die Vision, die Jesus hatte und verkörperte und die ihm den Ruf einbrachte, ein Fresser und Säufer zu sein.

Jesus feierte Feste wie dieses immer wieder mit Menschenmengen von einem Dutzend bis zu fünftausend Menschen und kultivierte Überfluss, wo andere nur Mangel sahen. Jesus lud diejenigen, die an Habgier litten, ein, großzügig zu teilen, was sie hatten, und diejenigen zu entschädigen, deren Leiden ihren Reichtum begründet hatte. Jesu Feste waren Orte, an denen Menschen weinten und Tränen abgewischt wurden. Jesus nachzufolgen bedeutet, Fülle und Freude zu feiern und zu kultivieren, wo andere nur Knappheit und Verzweiflung sehen.

Auf den HERRN warten

Wir haben gesehen, wie apokalyptische Texte wie eine Gleitsichtbrille wirken, indem sie die verborgene (oder auch nicht so verborgene) Gewalt des Imperiums entlarven und den Weg in die Welt des geteilten Überflusses offenbaren. Aber was tun wir in der Zwischenzeit, während die Stadt des Chaos noch zu herrschen und zu wüten scheint? Ich muss gestehen, dass mich der letzte Teil des Jesajatextes am meisten beschäftigt: „Siehe, das ist unser Gott, auf den wir gewartet haben, damit er uns rettet.“

Wie sieht das Warten auf Gott im Anthropozän aus?

Ist es nicht gerade unser Warten und unsere Untätigkeit, die diese Krise in Gang hält?

Sollten wir nicht vielmehr aktiv versuchen, die Dinge zu verändern?

Zunächst eine Gegenfrage: Ist es wirklich unsere Untätigkeit, die die Krise am Laufen hält? Oder ist es nicht gerade unsere Überaktivität, unser tägliches Leben als Teil einer Gesellschaft, die süchtig nach fossilen Brennstoffen ist? Was wäre, wenn ein Teil des „Wartens auf den Herrn“ darin bestünde, unsere eigenen Kohlenstoffemissionen zu reduzieren, indem wir unsere Häuser und Kirchen isolieren und unseren Fleischkonsum einschränken? Was wäre, wenn „Warten auf den Herrn“ bedeutet, einen CO2-Fasten zu praktizieren, indem wir mit dem Fahrrad, zu Fuß oder zumindest in Fahrgemeinschaften zur Kirche fahren? Was wäre, wenn „Warten auf den Herrn“ bedeutet, dem Land Ruhe zu gönnen, indem wir unsere Rasenflächen mit mehr einheimischen Pflanzen bepflanzen, die weder gemäht noch gesät werden müssen? Was wäre, wenn „Warten auf den Herrn“ bedeutet, einen kollektiven Pakt zu schließen, keine Flugreisen zu unternehmen und ein Tempolimit einzuführen? Was wäre, wenn „Warten auf den Herrn“ bedeutet, dass wir unser persönliches und institutionelles Kapital von allen Unternehmen abziehen, die mit fossilen Brennstoffen zu tun haben, und unseren Reichtum in respektable, umweltfreundliche Arbeitsplätze in den armen schwarzen und braunen Gemeinden investieren, die am meisten von unzähligen Formen des Umweltrassismus betroffen sind? Was wäre, wenn wir gegenseitige Hilfe in Form von zinslosen Darlehen für Haushalte leisten würden, die ihre Häuser besser isolieren oder Solarzellen installieren wollen?

Wenn sich die Kirche kollektiv zu dieser Praxis des CO2-Sabbats verpflichten würde, wären wir eine Stadt auf einem Hügel und ein Licht für die Völker in dieser ökologischen Krise.

Aber selbst dann, müssten wir immer noch die Verlegung von Chaos-Pipelines und neuen Bohrfeldern in der Nordsee verhindern.

Wir müssten immer noch verhindern, dass der ewige Bund eines menschenfreundlichen Klimas durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe gebrochen wird und den Fluch eines unbewohnbaren Planeten auslöst.

Je mehr ich über die Klimakrise lerne und die systemische Untätigkeit der Politiker:innen verstehe, desto mehr schöpfe ich Hoffnung aus der wachsenden Bewegung von Christenmenschen und Menschen guten Willens, die die Zeichen der Zeit richtig deuten und sich entschließen, mutig und unter persönlichen Opfern zu handeln.

Dieses Frühjahr durfte ich mehrere Aktive der Letzten Generation kennenlernen. Viele sind–wie die meisten ihrer Generation–völlig von der Kirche entfremdet, andere tief in ihr verwurzelt. Ich habe eine Kirchenmusikerin getroffen, die ihre Finger auf der Autobahn angeklebt hat, obwohl davon ihr Lebensunterhalt abhängt – weil ihr das Ausmaß der Krise bewusst ist. Mit einer Pfarrerin las ich Martin Luther Kings Brief aus dem Gefängnis in Birmingham als Solidaritätsaktion mit den über Ostern gefangen gehaltenen. Von ihnen habe ich noch einmal eindrücklich gelernt, dass individuelle Verhaltensänderung nicht ausreicht. Ob sie regelmäßig in den Gottesdienst gehen oder nicht; sie haben erkannt, wo Jesus seinen Standpunkt einnehmen würde.

„Auf den Herrn warten“ bedeutet, auf Jesus an den Orten und mit den Menschen zu warten, in deren Umfeld er sich heute aufhalten würde. Wäre Jesus im Anthropozän geboren worden, wäre er wahrscheinlich in Bangladesch zur Welt gekommen und ein Klimaflüchtling geworden. Er hätte seine Jüngerinnen und Jünger aus den Reihen derer rekrutiert, die unter den Folgen von Überfischung und Umweltverschmutzung leiden. Das „Warten auf den Herrn“ findet überall dort statt, wo wir Samen für die Zukunft säen und wo wir uns der schwarzen Schlange, den todbringenden Tentakeln der Stadt des Chaos, in den Weg stellen.

Angesichts der schrecklichen Realität vertrauen wir auf Gott, der unermüdlich daran arbeitet, die Schöpfung gegen uns zu verteidigen und uns zu ökologischer Vernunft und zur Versöhnung mit unseren Mitgeschöpfen zu bewegen.

Lasst uns einen apokalyptischen Glauben kultivieren, der die Stadt des Chaos entlarvt und verwandelt.

Lasst uns das neue Fest des Herrn feiern, das uns nährt und uns aus der Verzweiflung zu einer glühenden Liebe für die gesamte Schöpfung führt.

Lasst uns mutig und aufopferungsvoll auf unseren Gott warten, der uns retten wird.

So soll es sein. Amen.

Ein Kommentar

  1. Danke für diesen Text ♡

    In mir wächst durch die Klimabewegung eine innere Repräsentanz des Guten in der Welt die ich zusammen mit meinem Glauben für verloren geglaubt hatte.

    bei Auseinandersetzung mit der Klimakatastrophe/Artensterben war ich bei einem „Die Welt ist ein schlimmer Ort““Menschen sind böse“ als Überzeugung angelangt .
    Nun bildet sich ein „Ja auch, aber nicht nur…“ und dafür bin ich dankbar.

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