Dies ist der zweite Teil einer Serie zerstreuter Gedanken zu Diaspora, und anhängenden Themen. Der erste Teil ging der Frage des Verhältnisses zwischen Soziologie und Theologie nach.
Bleiben wir bei Metaphern, dieser Sprachform, die wohl am ehesten zum wahnwitzigen Vorhaben von Gott zu sprechen, entspricht (siehe die Arbeiten zur metaphorischen Theologie von Sally McFague). Die Metapher des Ausstreuens der Samen weckt Assoziationen quer durch die biblischen Erzählungen. Sie erinnert an die Verheißung an Abraham, dessen Samen so zahlreich wie der Sand sein soll, und durch den alle Völker gesegnet werden sollen. Und an das ursprüngliche Ziel aller Schöpfung: „Seid fruchtbar und mehret euch, füllt die Erde!“
So gesehen erscheint eher die Nichtzerstreuung als Problem! War die Versuchung nicht immer, alles zusammen zu halten, notfalls auch mit subtilem und weniger subtilem Zwang, um ja nicht zerstreut zu werden? (Genesis 11 – Turmbau zu Babel, aber auch das Zusammenhocken der Jünger:innen nach der Himmelfahrt Jesu, die Mission beginnt erst mit der Zerstreuung nach der Hinrichtung des Stephanus Apg 3?) Die frühe Kirche folgte diesem Weg eine Weile. Sie hatte keine große Missionsstrategie, sondern setzte auf den geduldigen Gärungsprozess (Patient Ferment of the Early Church, Alan Kreider), den sie durch ihr Da-Sein und ihren beharrlichen Dienst am Nächsten und ihre eigene nachhaltige Veränderung durch die Anbetung des Auferstandenen Christus.
Ernst Christian Driedger erinnerte an die aus täuferischer Sicht fatale Wendung durch die konstantinische Wende, mit der das Christentum zunächst toleriert und bevorzugt wurde und dann innerhalb weniger Generationen zur Staatsreligion aufstieg. Das Imperium Romanum wurde getauft, im Gegenzug wurde die Kirche imperialisierte. Um hof- und mehrheitsfähig zu werden, wurden Christi Ruf zur gewaltlosen Nachfolge und die Vision vom Jahr der Gnade immer mehr an den Rand gedrängt und die Armen werden auf das Jenseits vertröstet.
Wenn wir auf Jesus schauen fällt auf, wie schlecht seine Gleichnisse zu der Idee einer Gesellschaft passen, in der alle den Weg der Nachfolge gehen. Da ist zunächst das Wort vom schmalen Weg, den nur wenige gehen. Und „nehmt euer Kreuz auf euch und folgt mir nach,“ ist natürlich auch kein toller Werbeslogan. Aber ich denke v.a. an Jesu Wort „Ihr seid das Salz der Erde“ zu Beginn der Bergpredigt. Gestern las ich endlich Andrea Schneiders Menno-Simons-Preis prämierte Predigt (siehe auch Die Brücke Nr 1./2021). Sie legt die Kraft des Salzes in vielerlei Richtung aus: es würzt und gibt allem um es herum Geschmack, es schmilzt das Hass-Eis und ermöglicht Beziehung (eher ein Anachronismus aber gut), und heilt Wunden in Person und in der Gesellschaft. Aber sie macht auch klar: dies ist ein Mutmach-Wort für Minderheiten, denn Salz tut nur in kleinen Dosen gut. Was heißt das für unser Missionsverständnis?! Einerseits natürlich: Raus aus dem Salzstreuer! Aber geht es darum andere in Salz zu verwandeln? (War das nicht eher eine Reaktion auf extremes Trauma? siehe Lots Frau) Oder geht es vielmehr darum ihren eigenen Geschmack zu aktivieren?
Und wie verstehen wir es, dass Salz, dass seinen Zweck des Würzens erfüllt, sich auflöst? Ist das nicht eine unangenehme Vorstellung für unsere Gemeinden mit ihren Gemeindehäusern und Fixkosten? Was heißt das für mich, als jemand, der verrückt genug ist, zu glauben von „irgendwas mit Gemeinde“ leben zu können?
Natürlich gibt es auch andere Gleichnisse, zum Beispiel von den Samen, der auf gute Erde bringt und gute Frucht bringt, hundert und tausendfach. Und ich will Gemeindewachstum auch gar nicht schlecht reden. Aber auch diese Samen müssen, um Frucht zu bringen, zuerst sterben.
Mir geht es nicht darum, schlechte Laune und Untergangstimmung zu verbreiten. Biblisch gesehen geht es ja sowieso eher um Weltaufgang und Neuschöpfung. Aber Tod und Ende werden auch nicht verdrängt. Vielmehr ist die Logik diejenige, dass wir nur gewinnen können, wenn wir bereit sind alles aufzugeben, inklusive uns selbst. Das interessante ist ja gerade, dass es manchmal scheint, als ob wir mit unseren Untergangserzählungen, die Augen verschließen vor dem Neuen das Gott am Schaffen ist.
So gibt es etwa in sehr unterschiedlichen Kontexten ein wachsendes Interesse an Friedenstheologie und auch an christlichen Traditionen, die Erfahrung mit der Randposition haben. Dazu gehören natürlich die stark wachsenden täuferischen Kirchen in Afrika, Südamerika und Asien. Die verschiedenen Anabaptist Networks in Großbritannien, Südafrika, und Australien und Neuseeland sind eine explizit täuferische Bewegung, die versucht täuferische Theologie, jenseits der kulturellen Gewachsenheit der (weißen) mennonitischen Tradition zu leben. Auch die links-evangelikale Erneuerungsbewegung New Monasticism um Shane Claiborne, Jonathan Wilson-Hartgrove und andere hat unter anderem stark neotäuferische Einflüsse. In Deutschland denke ich an den friedensethischen Prozess der Evangelischen Kirche in Baden oder auch die oft unbemerkte Fruchtbarkeit mennonitisch sozialisierter (ehemals) junger Menschen, die erfolgreiche Gemeinden oder missionale Projekte gründen, die trotz ihrer verschiedenen charismatischen und evangelikalen Einflüsse doch auch spürbar täuferisch sind. Natürlich finde ich es schade, dass all diese Früchte sich so selten auf unsere mennonitischen Gemeinden auswirken, sei es als Wachstum, oder eigene Transformationsprozesse. Aber dazu müssten wir auch die Türen öffnen, wenn Leute anklopfen.
Manchmal wirkt es fast so, als ob Gottes Geist auch trotz unseres Widerstands eine täuferische Saat aufgehen lässt. Die Frage ist nur, ob wir Augen haben zu sehen. Und ob wir bereit sind, uns selbst zu verändern, um uns treu zu bleiben.
Der dritte Teil der Serie dreht sich um (mennonitische) Identität, und wie wir unsere Geschichte inklusiv erzählen können. Der Fokus bleibt dabei auf Metaphern gerichtet.