Die Geschichte des Fleckens Land zwischen Mittelmeer und Jordan ist alt und verworren; in der Vorlesung „Geschichte Israels“ sagte Professor Oehming „Israel hat das Privileg, von allen großen Kulturen der Menschheitsgeschichte beherrscht worden zu sein.“
Ich halte das für ein sehr zweifelhaftes Privileg, weil es für die Bewohner des Landes beinhaltet von allen großen Kulturen der Menschheitsgeschichte überfallen zu werden, ins Exil und Sklaverei gebracht zu werden, vergewaltigt zu werden und neue Götter annehmen zu müssen. Das haben die „großen Kulturen“ eben so an sich.
Weltreiche kamen und gingen, mal hielten sie sich für ein paar Jahrzehnte, wie die Kreuzritter, die Osmanen herrschten fast vierhundert Jahre, aber sie alle hinterließen ihre Spuren. In den Gebäuden, die teilweise heute noch stehen, aber auch in den Gesichtern der Menschen, und in ihren Bräuchen. In Nahalin, dem Dorf unter uns gab es rothaarige Jungen mit Sommersprossen, und in Jerusalem lebt seit hunderten von Jahren eine Gruppe von ürsprünglich sudanesischen Söldnern. In der Altstadt gibt es ein armenisches Viertel und die Kopten haben ihre Lehmhütten auf die Grabeskirche gebaut, weil ihnen sonst kein Platz zugestanden worden war. Hebron ist berühmt für seine Glasproduktion; das Wissen um das Glasblasen wurde von sephardischen Juden dorthin gebracht, die vor der spanischen Inquisition flohen.
Was ich sagen will, ist folgendes: Weltreiche kamen und gingen, aber Menschen in ihrem Gefolge kamen und blieben. Und vermischten sich mit denen, die vor ihnen da waren. Das Land war nämlich auch nie leer. Es haben dort immer Menschen gelebt, keine Vertreibung hat alle Menschen vertrieben und es gab nie nur eine homogene Gruppe zwischen Mittelmeer und Jordan. So sagen manche auch, dass der Mehrheit der Hebräer nach der Bar-Kochba Revolte nicht ins Exil geschickt wurde, sondern blieb und später unter islamischer Herrschaft zum Islam konvertierte. Schließlich musste man dann weniger Steuern zahlen.
(Die Vertreter dieser Thesen sind normalerweise sehr weit rechts im israelischen Spektrum und auch in der Beschreibung dieses Videos auf Youtube steht:
This gives Palestinians a even more reason to recognize the Hebrew Jewish State of Israel and to convert to Judaism if they want and return back to their true nation. I’m sure their Hebrew ancestors would be glad to see this.
Als ob die Palästinenser an dem Problem Schuld wären und als ob Israel sie annähme, wenn sie konvertierten.)
Und dann waren da noch die Christen, die Nachkommen der ersten Jünger, die Samariter und Drusen, und eben all die anderen die inzwischen dazu gekommen sind: Nachkommen römischer Soldaten, Kreuzritterbastarde, Strafkolonien des osmanischen Reiches, und so weiter.
Wer also hat einen Anspruch auf das Land zwischen Mittelmeer und Jordan? Die Juden, weil ihre Vorfahren vor 2000 Jahren mal dort lebten? Aber was ist dann mit den Juden, die das Land mehr liebten, als die Religion und zurückblieben. Kann ein Nachfahre der Kreuzritter auch seinen Anspruch geltend machen?
Zugegeben, der Zionismus macht einen doppelten Anspruch auf Palästina: Als das Land ihrer Vorfahren und als sichere Heimat vor Verfolgung und Diskriminierung. Aber was ist mit palästinensischen Flüchtlingen, deren Vorfahren gerade mal vor zwei Generationen im Land lebten und teilweise noch leben? Sie werden in Gaza von Israel bombardiert, und leben unter ihren arabischen „Brüdern“ als Bürger zweiter Klasse, die z.B. in Syrien massiv leiden.
Warum erhält ihr Anspruch kein Gehör?
Eine dauerhafte Lösung muss Gerechtigkeit zu ihrer Grundlage haben und dafür muss dieses Land für alle offen sein, die dort leben und leben wollen. Ich kenne keine Nachfahren der Kreuzritter, der in Deutschland sitzt und nur ins Heilige Land auswandern will, die Parteien heute werden zusammengefasst unter Palästinensern und Israelis. Beides sind Identitäten, die durch diesen Konflikt geformt und verhärtet sind; sie sind aber nicht in Stein gemeißelt. Vor 1948 zählte man zu Palästinensern auch Juden, gerade die, die vor den Zionisten gekommen waren. Und wie schon erwähnt führen auch viele muslimische, oder christliche Palästinenser sich auf die Hebräer zurück, die Vorfahren der Juden.
Ob sich ein dauerhafter Friede einstellen kann, ist noch nicht abzusehen, im Moment scheint es mir wichtiger sicherzustellen, dass es in hundert Jahren überhaupt noch Palästinenser zwischen Mittelmeer und Jordan gibt, und nicht nur kleine Reservate von kolonisierten Ureinwohnern.
Sehr interessant das Video über die jüdischen Wurzeln. Bewegend die Aussagen des alten Mannes am Schluss. Erschütternd zu hören, wie diese Menschen durch den Staat Israel entfremdet wurden, nach so langer Zeit als Kryptojuden. – Es lässt mich auch an die vielen zwangsgetauften Juden im „christlichen“ Abendland denken, auch am die Krypto-Muslimen in Spanien und auf dem Balkan nach der Rückeroberung.
Gespenstisch lustig der Comic von Nina Paley!!!!