Zuerst mit Freude und dann Erschrecken habe ich den Essay von Arno Widmann anlässlich des fünfhundertsten Jahrestags der ersten Erwachsenentaufe der Neuzeit gelesen. Freude, weil eine große Tageszeitung die ganze erste Seite des Feuilletons dem fünfhundertsten Geburtstag der „Stillen im Lande“ widmet. Erschrecken, weil 500 Jahre später die Täufer selbst wieder mal nicht zu Wort kommen dürfen, weder die von damals noch die heute.
Hätte Widmann doch bloß einen der verschiedenen renommierten deutschsprachigen Täuferhistoriker:innen wie Andrea Strübind, Astrid von Schlachta oder Martin Rothkegel kontaktiert, statt sich auf den anonymen Autor des Wikipediaartikels zu Felix Mantz zu berufen! Dann wäre ihm vielleicht aufgefallen, dass es absurd ist Zwinglis Hetzschrift gegen die Täufer als Vorboten der Toleranz umzudeuten. Vielleicht hätte er dann auch erfahren, dass es auch damals schon Stimmen gab, die lautstark gegen Gewalt zur Durchsetzung der Reformation argumentierten. So schrieb etwa der täuferische Reformator Balthasar Hubmaier schon 1524 eine Flugschrift „Von Ketzern und ihren Verbrennern,“ in der er eindrucksvoll aus der Bibel argumentierte, dass Glaube frei sein müsse und religiöser Zwang langfristig keinen Erfolg haben kann. Kurzfristig jedoch setzten sich die Verbrenner durch. Hubmaier wurde, wie zehntausende andere Täufer hingerichtet. Auf dem Wiener Scheiterhaufen rief er 1528 aus „Die Wahrheit ist untödlich!“
Auch heute gibt es noch Täufer – selbst hier in Frankfurt, wie eine kurze Suche auf Google, oder auch in der Wikipedia ergeben hätte. Zwar hat Widmann recht, dass die europäischen Täufer global nur eine Minderheit sind, doch unterschlägt er, dass dies auch dem gewaltigen Wachstum der täuferischen Kirchen im globalen Süden zu verdanken ist und es mittlerweile fast 2 Millionen Mennoniten und wesentlich mehr täuferische Christenmenschen weltweit gibt. Die zugegeben wenigen Mennoniten in Deutschland haben eine zwar oft übersehene, aber doch unwahrscheinlich disproportionale Wirkmacht. Wir wirken mit in der lokalen, bundesweiten und weltweiten Ökumene, gemeinsam mit anderen erheben wir unsere Stimme für gewaltfreie Konflikttransformation und das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung in Kolumbien, Israel-Palästina, und auch in Russland und der Ukraine.
In einem weiteren Sinne sind auch die Baptisten, die Freien Evangelischen Gemeinden und viele anderen Freikirchen auf die Täuferbewegung zurückzuführen. Auch die ur-evangelische Tradition der Konfirmation, entstand aus Gesprächen Martin Bucers mit hessischen Täufern – eine Art Kompromiss, der an der Kindertaufe festhielt, aber eine Bestätigung des Glaubens durch mündige Gläubige einführte. Seit 2020 wurden unter dem Titel „gewagt“ in einer mennonitisch-baptistischen Halbdekade mit Unterstützung vieler anderer ökumenischen Geschwister immer wieder verschiedene Anliegen der täuferischen Reformation hervorgehoben und für unser Leben hier und heute reflektiert: die Mündigkeit des einzelnen Gläubigen, der Wert verbindlicher und freiheitlicher Gemeinschaft, ein konsequentes Leben in der Nachfolge Jesu, gewaltfreier Einsatz gegen Unterdrückung und für Gerechtigkeit, hoffnungsvolle Erwartung, die zum solidarischen Handeln inmitten von Krisen ermutigt. Diese Werte zeigen bereits, wie aktuell und zukunftsweisend das Erbe der Täufer heute ist.
Gerade in Zeiten, in denen vielerorts christliche Nationalisten daran arbeiten, die Trennung von Staat und Kirche zu unterhöhlen, lohnt sich eine genauere Beschäftigung mit einer Kirchenfamilie, die von Anfang an Gewalt und Zwang ablehnte und verstand, dass Macht der Kirche selbst nicht gut tut und das Evangelium verdunkelt. Wir Erben dieser radikalen Bewegung sind immer noch gerne bereit zum Dialog. Dazu wird es in diesem Jubiläumsjahr immer wieder Gelegenheiten geben, die hoffentlich auch mit ganzseitigen Artikeln bedacht werden. Herzliche Einladung etwa zum lokalen Täuferjubiläum gemeinsam mit der Baptistengemeinde am Tiergarten am 28.-30. März 2025.
Mit freundlichen Grüßen
Benjamin Isaak-Krauß
Co-Pastor der Mennonitengemeinde Frankfurt am Main e.V.
Weitere Informationen:
Webseite der Mennonitengemeinde Frankfurt https://mennoniten-frankfurt.de/
Webseite unseres deutschlandweiten Verbandes: https://www.mennoniten.de/
Verlautbarung des Vorstands der Arbeitsgemeinschaft mennonitischer Gemeinden in Deutschland zum Täuferjubiläum
https://www.mennoniten.de/wp-content/uploads/2025/01/AMG-Wort-500-Jahre.pdf
Webseite des Vereins Gewagt! 500 Jahre Täuferbewegung – https://taeuferbewegung2025.de/
Arbeitsstelle Theologie der Friedenskirchen: https://www.theologie.uni-hamburg.de/einrichtungen/arbeitsstellen/friedenskirche.html
Mennonitischer Geschichtsverein: https://www.mennonitischer-geschichtsverein.de/