Prozess: Zuhören – Recherchieren – Handeln (Gemeindearbeit als Organizing III)

Seit ich mein Theologiestudium begann beschäftige ich mich immer wieder mit der Frage „Wozu braucht man eigentlichen einen Pastor? Und wozu nicht? Dabei stoße ich immer wieder auf den in den USA sehr verbreiteten hierzulande aber kaum bekannten Community Organizing Ansatz, in dem es weniger darum geht, Leute zu leiten im Sinne von Ton angeben, sondern mehr darum sie zu aktivieren und Menschen mit ähnlichen Interessen zusammenzubringen. Im ersten Teil ging es ums „gefragt werden“ und um Anerkennung, der zweite Teil war eine Einführung in Community Organizing, jetzt geht es konkreter um eine Methode des Zuhören-Recherchieren-Handelns. Im letzten Teil stelle ich einige Thesen zu Pastorenarbeit als Community Organizing auf.

„Ich habe die Not meines Volks in Ägypten gesehen. Die Klage über ihre Unterdrücker habe ich gehört.
Ich weiß, was sie erdulden müssen.
Deshalb bin ich herabgekommen,um sie aus der Gewalt der Ägypter zu befreien.

JHWH zu Mose Exodus 3,7f.
  1. Zuhören

Die erste Phase bildet immer das Zuhören, wobei tatsächlich das Zuhören in einem Gespräch mit Beteiligten sogenannten „one-on-ones“ (oder Vier-Augen-Gesprächen) gemeint ist.

In diesen informellen Einzelgesprächen mit Menschen aus der Communitylernt der Community Organizer diese kennen, und beginnt die Community als solche wahrzunehmen: Ihm werden weitere Gesprächspartner genannt, nach mehreren Gesprächen entdeckt der Community Organizer wiederkehrende Themen und fängt an, die Beziehungen der verschiedenen Akteure mental kartographieren.

Zusätzlich dienen die „One-on-ones“ Paul Allen Cromwell zufolge zu drei Zwecken:

  • Identifizierung der Eigeninteressen des Gegenübers,
  • Aufbau einer Beziehung und
  • Identifizierung der Begabungen und Ressourcen, die das Gegenüber in die Arbeit einbringen könnte.

Wurden genug Einzelgespräche geführt, werden die Beteiligten zu einem Treffen eingeladen, bei dem der Community Organizer die Ergebnisse vorstellt und die Anwesenden gemeinsam überlegen, wie weiter vorzugehen ist.

Meist wird beschlossen, mehr Gespräche zu führen, wobei in einem Schneeballeffekt die bereits Involvierten zu Interviewern werden und ausgebildet werden.

Die erste Phase des Zuhörens hat damit selbst schon eine aktivierende Wirkung auf einzelne Mitglieder der Community und trägt zu einer Gruppenbildung bei.

2. Recherchieren

Wurden genug Menschen interviewt und involviert, werden die Ergebnisse zusammengetragen, um  gemeinsame Interessen und realisierbare Ziele zu identifizieren. Bevor jedoch zum Handeln übergegangen werden kann, kommt es zur Recherchephase.

Was müssen wir noch wissen, um gut handeln zu können? Wie sehen die Mächteverhältnisse aus, mit wem kann man Bündnisse schließen, um Ziele zu erreichen? Gibt es ähnliche Situationen anderswo?

Auch die Recherche sollte nicht nur von Experten gemacht werden, stattdessen werden die bereits involvierten Menschen als Experten ihrer eigenen Situation herangezogen. Der Community-Organizer tritt wiederum befähigend in Erscheinung, statt die Arbeit selbst zu machen. Auch gilt es, möglichst verschiedene Wissensformen zusammenzutragen, statt z.B. „wissenschaftliches“ Wissen zu privilegieren, dass nur Eingeweihten offensteht.

3 Handeln

Wenn die Gruppe beschließt, dass genügend Informationen zusammengetragen wurden, geht es darum zu handeln. Die gesteckten Ziele sollen umgesetzt werden und dazu braucht es entschiedenes Handeln, dass Forderungen klar macht und gleichzeitig immer wieder zu Verhandlungen einlädt.

Community Oragnizing setzt dafür auf Öffentlichkeit und Dialog, wo nötig auf Konfrontation.
Wiederum wird das Handeln nicht von Experten übernommen, sondern mit den Mitgliedern der Community vorbereitet und bspw. in Rollenspielen eingeübt, kritisiert und im Dialog verändert.

Diese aktive Rolle der Beteiligten muss auch oft gegen ihren Willen durchgesetzt werden, die aufgrund ihrer Erfahrung dazu neigen den Community Organizer zum Experten zu machen und selbst passiv zu sein. Training und intensive Vor- und Nachbereitung sollen dazu befähigen.

Damit wird der Prozess des Community-Organizing selbst zu einem emanzipatorischen, da die Beteiligten von Anfang bis Ende als handelnde Subjekte behandelt werden und die Möglichkeit geschaffen wird, dass sie selbst immer mehr diese Haltung annehmen.


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