Olivenbäume sind das Merkmal Palästinas, schon seit biblischen Zeiten als die Leviten Oliven als eine der sieben Früchte des gelobten Lands zurückbrachten. Der Ölbaum, seine Früchte und das daraus gewonnene Öl tauchen immer wieder in der Bibel auf, was auf die lange Tradition seiner Nutzung hinweist. In Getsemaneh in Jerusalem gibt es Olivenbäume, die zur Zeit Christi schon dort wuchsen, und im palästinensischen Dorf Al Wallajah soll es sogar noch einige Jahrhunderte ältere Bäume geben.
Der Olivenbaum ist eine in Palästina einheimische Pflanze, die sich über Jahrtausende auf den kargen Regen und die brennende Hitze eingestellt hat, und durch ihr langsames Wachstum ein schier unsterbliches Alter erreicht.
Ich schrieb an anderer Stelle schon über die unglaubliche Widerstandsfähigkeit der Bäume, die sogar das Fällen überleben können und einfach aus dem Stumpf zu neuem Leben erstehen, weil das Wurzelnetzwerk intakt geblieben ist. Das hat auch die Israelische Besatzungsarmee gemerkt und ist dazu übergegangen, Bäume mit Caterpillar-Bulldozern auszureißen.
Wie schon in der Bibel spielt der Olivenbaum in der eingeborenen palästinensischen Kultur eine große Rolle: Menschen erinnern sich teilweise an den Namen der Menschen, die den hundert Jahre alten Baum gepflanzt haben, die Zeit der Ernte war früher ein Familien-, oder sogar Dorffest, wobei sich hier mittlerweile auch die Modernisierung bemerkbar macht und in meiner Erfahrung kaum noch alle Familienmitglieder daran teilnehmen.
Bei diesen tiefen Wurzeln im Bewusstsein der Menschen ist es logisch, dass Daoud gerne den Ölbaum als Beispiel für effektiven und nachhaltigen sozialen Wandel benutzt. Ich möchte im Folgenden seine Punkte in eigenen Worten wiedergeben und dem manches hinzufügen:
Der Ölbaum hat tiefe Wurzeln, die es ihm ermöglichen den langen und heißen Sommer zu überleben. Ebenso brauchen Initiativen, die effektiv sein wollen, ein tiefes Reservoir an Energie haben, um die vielen Anfechtungen zu überleben.
Der Baum wächst sehr langsam und hat ein weitaus größeres Wurzelnetzwerk als der oberirdische „Baum“. So können wirkungsvolle Initiativen oft auch sehr bescheiden und machtlos wirken, weil sie an ihrer Unterstützung in der Gemeinschaft arbeiten müssen. Graswurzelorganisation ist der Schlüssel zu tatsächlicher Gesellschaftstransformation, während der Versuch radikale Politik durch staatliche Reformen ohne Rückhalt in der Bevölkerung fast immer zum Scheitern verurteilt ist. So wie der Ölbaum erst nach sieben bis zehn Jahren Früchte trägt braucht horizontales Organisieren eine lange Zeit, bevor erste Auswirkungen sichtbar werden.
Die ersten zwei Sommer muss man den Baum regelmäßig bewässern, sonst stirbt er, danach kommt er komplett alleine aus, weil die Wurzeln tief genug sind. Ebenso brauchen auch viele Initiativen eine Starthilfe finanzieller oder anderer Art, bevor sie anfangen können zu arbeiten. Es ist aber unbedingt notwendig von dieser Starthilfe nicht abhängig zu werden, sondern sie als „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu verstehen und sie dann irgendwann auch schlichtweg abzulehnen.
Soweit Daouds Vergleich. Während ich darüber nachdachte sind mir noch einige Dinge eingefallen:
Wir sind versucht den Baum als alleinstehend zu sehen und nicht in seinem Kontext als Teil eines Ökosystems aus Erde, anderen Pflanzen und Tieren. Tatsächlich sind die Wurzeln des Baumes wichtig, aber nicht um sich aus der unlebendigen Erde an Rohstoffen zu bedienen, sondern um mit Kleinstlebewesen zu handeln und Mineralien gegen Sauerstoff auszutauschen. Tausende Würmer, Insekten und andere Tiere auf der Suche nach Futter graben den Boden um den Baum herum um und hinterlassen wertvolle Nährstoffe in Form ihrer Exkremente. Gleichzeitig gibt es auch Schädlinge, die den Baum kaum am Leben lassen wollen, oder nur um ihn weiter auszubeuten. Andere Pflanzen, z.B. Gras können eine Gefahr sein, wenn der Baum noch jung ist und überwuchert werden könnte, aber sie verhindern auch, dass der Boden austrocknet und die Würmer den Ort verlassen. Sie beziehen ihre Nährstoffe aus anderen Bodenschichten und stören einen großen Baum nicht. Genauso leben auch wir in Zusammenhängen, in denen Solidarität die größten Erträge bringt und gegenseitige Hilfe lebensfördernd ist. Es ist nur unsere kapitalistisch-individualistische Weltsicht, die uns zum Schluss kommen lässt Wettbewerb erbringe immer die besten Erträge. Wir sollten versuchen die Nischen zu finden, in denen wir gemeinsam existieren können und einander fördern könnten. Dies ist besonders für Initiativen wichtig, die oft andere Zielsetzungen haben, und deswegen meinen, nicht zusammenarbeiten zu müssen, oder sogar können. Im Gegenteil, Vielfalt kann zu viel größerer Effektivität führen, auch wenn man nicht unbedingt in allem übereinstimmt.
Aufgrund des Wurzelnetzwerks und der gegenseitigen Hilfe der Organismen kann der Baum die langen Strapazen des Sommers überleben (der gleichzeitig enorme Energie in Form von Sonnenlicht bringt). Dennoch würde er ohne den Winter und den Regen schnell verdorren und sterben. Genauso brauchen wir auch bei dem größten und effizientesten Netzwerk den Wechsel zwischen Arbeit, Fest und Ruhe (oder Sommer, Ernte und Winter), neue Ressourcen und Orte und Zeiten an denen wir Kraft schöpfen können. Die biblische Sabbatordnung bietet dafür eine gute Grundlage und zusammen mit Jesu Kritik an der allzu literalistischen Auslegung der Pharisäer, ist sie ein hilfreiches Gegengift zu der protestantischen Arbeitsmoral, die leider viele Initiativen prägt.
Auch ein hunderte Jahre alter Baum mit tiefen, starken Wurzeln und vielen Früchten ist nicht sicher vor einem Siedler mit einer Motorsäge, oder den Bulldozern der israelischen Armee. Dank der Wurzeln wird der Baum zwar vieles überleben, aber er kann auch nicht auferstehen. Nichts desto trotz sind die Oliven, die einst in ihm hingen längst zu neuen Bäumen geworden.
Gute Organisation, Breites Netzwerken und ausreichend Ressourcen sind keine Garantie dafür, dass unsere Versuche die Gesellschaft zu verändern, nicht von den Mächtigen bekämpft und gestoppt werden. Ein gutes Netzwerk kann dann helfen, neue Sprossen um eine zerstörte Organisation sprießen zu lassen, aber vielleicht verliert es durch Propaganda sogar den Rückhalt in der Gemeinschaft. Dennoch wird all die Arbeit unerwartete Früchte getragen haben und noch tragen.
Wie Daoud in Abwandlung des Lutherzitats sagt: „Selbst wenn ich wüsste, das morgen die Welt untergeht, würde ich heute immer noch einen Olivenbaum pflanzen.“ Und das in Palästina, wo das Ende der Welt sowieso immer um die nächste Ecke scheint.
Hallo Benni, es tut gut, von Deinem realistischen Optimismus zu nippen. Danke!