Dieser Text ist eine kurze Rede, die ich im Advent 2020 bei einer Mahnwache der Seebrücke Regensburg gehalten habe. Es war ein Versuch, öffentliche Theologie zu betreiben, und die politische Sprengkraft der Weihnachtsgeschichte vor der Kommerzialisierung zu retten.
Liebe Seebrücke,
Mein Name ist Benjamin Isaak-Krauß, ich bin Vikar in der Mennonitengemeinde Regensburg in Burgweinting.
Ich bin heute hier, weil mich eure Mahnwache vor zwei Wochen sehr bewegt hat. Die Reden waren mitreißend, aber mich hat vor allem die konkrete Solidarität beeindruckt, wie viele Menschen der Kälte getrotzt haben, um ein Zeichen für Asylrecht und gegen die tödliche Abschottungspolitik der EU zu setzen. Diese Solidarität mit den Ausgegrenzten, die Weigerung ihr Leiden zu vergessen und eine untötbare Hoffnung, dass diese Welt nicht so bleiben muss, wie sie ist, hat mich berührt.
Und als Christ hat es mich daran erinnert, worum es an Weihnachten wirklich geht. Nicht um Plätzchen und Glühwein, oder die Hektik rechtzeitig Geschenke zu finden. Auch nicht um eine mehr oder weniger schöne Familienfeier, die um jeden Preis stattfinden muss. Nein.
Im Advent geht es genau um das, was ich bei euch vor zwei Wochen gespürt habe: Solidarität mit den Ausgegrenzten, Hinzuschauen wo andere Leiden und eine untötbare Hoffnung, dass diese Welt nicht so bleiben muss, wie sie ist.
Ich bin hier als Christ nicht hier, um euch anzupredigen oder zu missionieren.
Aber ich möchte euch herausfordern: Egal wie ihr es haltet mit Glauben: ich bitte euch überlasst die Bibel, diese Sammlung von gefährlichen Erinnerungen an eine bessere Welt, nicht denen, die sie missbrauchen für Ausgrenzung und Hass!
Denn die Bibel ist ein Buch von Menschen auf Flucht, Menschen am Rand, und Menschen, die den Traum von einer besseren Welt nicht aufgeben.
Ich habe euch einen Text mitgebracht, der so auch in unserem Schaukasten vor der Gemeinde und auf unserer Webseite steht. Er bezieht sich auf eine Kunstinstallation in unserem Garten, in der Maria und Josef in einem Schlauchboot auf dem Weg nach Bethlehem sind.
Kommt doch mal vorbei und schaut es euch an.
„Es kommt ein Schiff, geladen bis an sein höchsten Bord,
trägt Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewigs Wort.“
So beginnt ein altes Kirchenlied. Es stellt sich den Advent als Schiff vor, das langsam und verwundbar seine „teure Last“ transportiert. Diese bewusste Verfremdung der biblischen Geschichte regt an, neu nachzudenken worum es an Weihnachten geht: Gott kommt mitten hinein in unsere Welt.
„Es kommt ein Schiff, geladen bis an sein höchsten Bord“
Bei diesen Worten drängen sich mir heute neue Bilder auf: Bilder von überschwer beladenen Schlauchbooten im Mittelmeer, voll mit Menschen, die vor Krieg und Hunger fliehen und alles riskieren für ein sicheres Leben. Bilder von Moria wo Menschen im Schlamm sitzen unter Planen. Und das mitten in Europa, Friedensnobelpreisträgerin für den „erfolgreichen Kampf für Frieden und Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte.“ (so die Begründung des Preiskomittees im Jahr 2012
„Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden!“ so sangen die Engel an Weihnachten bei Lukas. Zweitausend Krippenspiele später klingt das harmlos, doch für die ersten Hörer war es revolutionär: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden!“
Es war revolutionär, denn es stellte die Propaganda des Römischen Reichs infrage, das Rom eine Friedensmacht sei.
Stattdessen erzählt die Bibel ungeschmückt, wie Maria und Josef unter Besatzung lebten und selbst fliehen mussten, um das Leben des neugeborenen Jesus zu retten. Und sie hält auch fest, dass die heilige Familie nur dank der Zivilcourage einiger Fluchthelfer aus dem Orient überlebten.
Darum geht es an Weihnachten:
Gott selbst hat sich solidarisch gezeigt mit uns Menschen, besonders den Ausgegrenzten. Gott schaut hin und vergisst das Leiden nicht.
Gott wurde Mensch, um mit uns diese Welt zu verwandeln.
Wäre dieses Jahr das erste Weihnachten, ich bin sicher, die Krippe stände in Moria. Darum lasst uns aufbrechen zur Krippe hin und solidarisch bleiben. Frohen Advent.
Leider hatte ich zum Zeitpunkt der Rede diese Neuvertextung des Liedes noch nicht entdeckt.
Eine sehr gelungene Version, die gerade den Aspekt der Solidarität im Leben gut herausstellt (wenn auch auf Kosten der expliziten Kreuzesnachfolge, aber so ist es halt manchmal).