Ich habe mich jetzt schon länger nicht mehr gemeldet, und bin mir nicht sicher, ob der Versuch, all das Unberichtete und Unkommentierte aufzuholen, gelingen wird.
Dank einer Freundin, die gerade eine Christian Peacemaker Teams Inforeise leitet, konnte ich mit ihrer Gruppe letzten Samstag in die Negevwüste fahren und Beduinen besuchen, die innerhalb der Grünen Linie (also in Israel) so stark verfolgt werden, dass ich den Begriff „Bürger zweiter Klasse“ als Euphemismus empfinde.
Aber erstmal von vorne. Mit dem Kleinbus fuhren wir in Richtung Ber Sheva und nahmen auf dem Weg unsere zwei israelischen Führer auf, säkulär-jüdische Aktivisten, die in der Organisation Negev Coexistence Forum for Civil Rights zusammen mit Beduinen für gleiche Rechte und ein Ende der rassistischen Politik Israels kämpfen.
Im Bus erklärten uns Amos und Haia, dass es vor der Gründung des Staates Israel (oder der Nakba, der Katastrophe, wie es Palästinenser nennen) circa 85000 Beduinen in der ganzen Negev gab, die während des Krieges und noch danach massenweise vertrieben wurden. Die übrig gebliebenen 11000 (Volkszählung von 1960) wurden gezwungen, in ein Reservat im Norden der Negev zu ziehen, eine Regelung, die die traditionellen Stammesgrenzen ignoriert. Dieses Reservat stand lange Zeit unter Militärverwaltung und die Beduinen brauchten spezielle Genehmigungen, um es zu verlassen – wie Palästinenser in der Westbank heutzutage, obwohl die Beduinen israelische Staatsbürgerschaft hatten.
Die israelischen Regierungen wollen die „primitiven Nomaden“ dazu bringen, sich in Städten anzusiedeln, weswegen sie ihnen Baugenehmigungen für ihre Dörfer, ob neugegründet oder hunderte Jahre alt, vorenthalten. Die Begründung dafür war, sie seien Invasoren.
Sie wurden also vom entstehenden Staat Israel aus ihrem traditionellen Land vertrieben und von diesem Staat gezwungen in ein Gebiet zu ziehen, wo derselbe Staat sie als Invasoren bezeichnet und ihnen gleichzeitig eine Staatsbürgerschaft gibt, und grundlegende Menschenrechte, wie das Recht auf Unterkunft vorenthält.
Heutzutage sind die Beduinen wieder ungefähr auf ihre Vor-Nakba Anzahl gewachsen und leben teilweise in den von Israel für sie ausgewählten Städten und in zahlreichen sogenannten „nicht-anerkannten Dörfern“. In den Städten haben sie die höchste Arbeitslosigkeits- und Kriminalititätsrate in Israel, und versuchen dennoch so gut wie möglich an ihrem alten Leben festzuhalten: sie halten auf kleinstem Raum Ziegen und bauen Gemüse an.
In den „nicht-anerkannten Dörfern“ können sie zwar ländlicher leben, dafür haben sie größtenteils keinen Zugang zum Strom und Wassernetz, und leben in dauernder Angst vor dem Tag, an dem die Bulldozer wiederkommen und ihnen ihre Heimat wegnehmen wollen.
Und sie kommen. Wieder und wieder.
In dem „nicht anerkannten“ Dorf Arakib, das wir besuchten, waren sie jetzt schon 25 Mal. Sie zerstörten die steinernen Häuser und rissen die Olivenbäume aus. Die Beduinen bauten aus den Trümmern ihre Häuser wieder auf, und die Bulldozer kamen erneut. Am Ende nahmen sie die Trümmer mit, um sicher zu gehen, dass die Häuser nicht wieder errichtet werden. Auch die Zelte, die den Bewohnern als Unterkunft dienten wurden nun schon mehrmals zerstört.
Dank einem letztes Jahr in der Knesset verabschiedeten Gesetz, sind Hausabrisse nun eine „nicht von Steuern abgedeckte Dienstleistung des Staates“, weswegen die Bewohner von El Arakib nun auch noch auf 1,8 Millionen Schekel (=360.000€) verklagt wurden.
Aziz, der Sohn des Scheichs von Arakib, erklärte uns, dass sie keine heimatlosen Nomaden seien: „Wir hatten Häuser aus Stein, die baut man nicht, wenn man nur umherzieht. Natürlich, wenn meine Tiere kein Futter haben, dann gehe ich mit ihnen fort, aber ich komme wieder. Wenn du in deiner Nähe keine Arbeit findest, arbeitest du doch auch woanders. Aber wir hatten auch Bäume auf den Hügeln und Weizen und Gerste auf den Ebenen. Unser Dorf war so grün, es gab nichts wie es, hier in der Gegend.“
Jetzt sind die Bäume ausgerissen und stattdessen hat der Jewish National Fund (JNF) unter anderem mithilfe von Spenden des christlichen Senders God TV begonnen einen künstlichen Wald aus Pinien, Akazien und Eukalyptus auf Beduinenland aufzuforsten. Diese drei Bäume tragen keine verwertbaren Früchte, sind der Negev fremd, und im Fall des Eukalyptus sogar der ganzen Region. Eukalyptus benötigt enorme Wassermengen und trocknet das umliegende Land und die tiefer liegenden Wasserreservoirs aus, wie man in dem „Wald“ deutlich sehen konnte.
Außerdem ist der Eukalyptus in Australien für seine leichte Entflammbarkeit bekannt, was anscheinend auch das verheerende Karmelfeuer ausgelöst haben soll.
Dieser absurde „Wald“ dient dem JNF und den israelischen Autoritäten als Begründung, die Beduinen von dem Land zu vertreiben, da ihre Ziegen die Bäume am Wachsen hindern würden und damit eine Bedrohung für die „Umwelt“ darstellen würden.
Im Klartext, ein alter Kulturwald genügsamer und fruchtbarer lokaler Bäume wird abgeholzt, um Platz für einen wasserverschlingenden Wald fremder Bäume zu machen, die noch wachsen müssen und keine Frucht tragen. Das Ganze wird dann als „Erblühen der Wüste“ und ökologisches Wunder verkauft und diejenigen, die mit ihrer Mischung aus Hirtentum und Landwirtschaft das komplexe Ökosystem der Negev geschaffen haben, werden vertrieben.
Dass der Wald für die mit Sicherheit kommende jüdische Siedlung abgeholzt werden wird, steht außer Frage.
„Baumsoldaten“ hat Aziz diese Wälder genannt, die wie eine Armee sein Dorf belagern und kolonisieren. Eine Frau aus unserer Gruppe fing an zu weinen und erzählte davon, wie sie ihren Söhnen zur Geburt Bäume in Israel geschenkt hatte, die nun in diesem Wald standen. Sie hatte von all diesen Dingen natürlich keine Ahnung und dachte, sie tut etwas gutes. Wer hat schon etwas gegen Bäume. Dasselbe werden sich die Kunden von El Al wohl auch denken, die, um ihren CO2-Austoß auszugleichen, über den JNF einen Baum pflanzen, der dann Beduinen vertreibt, oder auf einem ehemaligen palästinensischen Dorf wächst und die Erinnerung an es verlöscht.
Dann ist Aziz aufgestanden und hat uns den Ort gezeigt, wo sein Dorf und seine Bäume früher standen. Viel zu sehen gab es nicht: ein Fundament eines Haus, eine Scherbe einer Fließe..
Doch dann zeigte er uns das erste Hoffnungsvolle des Tages: An manchen Stellen hatten die Bulldozer die Olivenbäume nicht ausreißen können, und so hatte man sie nur abgeschnitten. Jetzt sprießen sie wieder hervor und werden nur 3 Jahre brauchen, bis sie wieder Frucht tragen. Wenn sie so lange stehen bleiben können.
Aziz sagte: „Wenn die Bäume das überleben, wie könnte ich aufgeben und gehen?“
Über das Dorf Al Arakib gibt es eine Dokumentation Sumud, was man wohl am Besten mit „Langmut“ übersetzen sollte. Es ist auch das Wort, das Palästinenser, die das Prinzip der Gewaltfreiheit in der palästinensischen Gesellschaft verankern wollen, gewählt haben.
Schön, dass du wieder schreibst. Es ist keine schöne Geschichte. Aber es ist wichtig, dass sie erzählt wird.
Das ist mal wieder ein atemberaubender Bericht! Ich möchte ihn gerne weiterleiten, aber ich weiß nicht, ob das geht und ob das gewünscht wird.
Gela Böhne