Auswildern

Unser Ofen

Es ist warm geworden auf dem Weinberg. Der Regen hat für die nächsten sieben Monaten aufgehört und wir sind ins Freie gezogen. Vorbei sind die Tage, in xdenen wir frierend in einer engen Küche saßen und hofften, dass die Gaskartusche nicht ausging, weil wir dann keinen heißen Tee mehr hätten, der uns wärmen könnte.

Jetzt sitzen wir an einem großen Tisch, nichts ist zwischen uns und dem Himmel außer dem Sonnensegel, das uns in der Mittagshitze Schatten spendet.Dazu kommen noch die palästinensischen Eichen, die rund um die Freiluftküche wachsen und der kühlende Wind, der mir noch vor kurzem bitterkalt und frostig vorkam. Was anderthalb Monate doch ausmachen können…

 

Wir kochen auch nicht mehr mit Gas, oder anderen fossilen Brennstoffen, sondern ausschließlich mit Holz. Das Holz haben wir über das ganze Jahr gesammelt, vom Beschneiden der Bäume und den abgestorbenen Bäumen. Dazu kommen noch viele Büsche, die wir den Ziegen gefüttert haben und die nun trocken sind und sofort Feuer fangen, wenn man ein Feuerzeug dran hält.

Nach einigen verbrannten Fingern, angesengten Haaren und vielen vom Wind ausgeblasenen Flammen haben wir langsam den Dreh raus und können das Feuer leicht entflammen und am Leben erhalten. Auch unsere Küche ist verfeinert: Hatten wir am Anfang nur einen Ofen, so haben wir jetzt noch einen „Raketenherd“ und einen Brotofen. Der Raketenherd ist ein rechtwinkliges Rohr von Erde umgeben. Auf das Rohr passt genau ein Topf mit minimalem Abstand, sodass Luft entweichen kann. Das erzeugt einen starken Kamineffekt, also ein sehr heißes Feuer aus wenigen Stöcken.

 

Mir macht das Kochen auf dem Feuer sehr viel Spaß, es ist um einiges spannender als einen Gasherd anzuschalten. Es fühlt sich auch um einiges echter an. Erdverbundener. Jedes tote Stück Holz, das ich sammle, hat einen Wert. Im Winter wärmte uns das Feuer im Ofen in der Höhle, und jetzt verdanke ich den sengenden Flammen meinen heißen Tee und das dampfende Essen auf meinem Teller.

Und was wir alles kochen können! Wer hätte gedacht, dass man auf einem zugegeben doch unregelmäßigen Feuer, das man ständig nähren muss, Spiegeleier, Pizza und sogar Quiche zaubern kann? Nur bei den Pfannkuchen gab ich dann irgendwann auf und ging an den Gasherd.

Den ganzen Tag und manchmal auch die Nacht unter freiem Himmel zu verbringen, dem Feuer mein Essen zu verdanken und mit Pflanzen und Tieren zu arbeiten ist für mich ein Zeichen echter Lebensqualität. Es mag kalt werden, oder zu heiß, aber das macht die Erfahrung so viel wertvoller als die immer gleiche Klimaanlagentemperatur. (Das sage ich jetzt, wo der Winter vorbei ist).

In der Zeit, die ich hier verbringe, lerne ich immer mehr, was das Leben wirklich lebenswert macht, und verlerne immer mehr die Erwartungen, die mir – von wem auch immer – aufgelegt wurden.

Ich dusche nicht öfter als einmal die Woche und meine Kleidung könnte auch sauberer sein. Meine Finger haben Schwielen und Kratzer, meine Arme sind dunkelbraun von Sonne und Dreck.

Mir könnte es nicht besser gehen.

Viele Dinge, die die Zivilisation uns bietet, scheinen mir den Trubel nicht wert: das letzte Mal als ich nach Jerusalem ging, hatte ich die stressigste Stunde meines Lebens, bis ich zwischen all den Checkpoints, religiösen Feiertagen und Sprachen endlich Geld aufgetrieben hatte und mein Handy aufladen konnte. Alles Dinge, die ich auf dem Weinberg nicht brauche.

Wenn ich mich so betrachte, komme ich mir vor, wie ein Wolf der in Gefangenschaft aufwächst und dann nicht mehr in Freiheit leben kann. Ich muss ausgewildert werden. Oder mich selbst auswildern. In kleinen Schritten lernen, nicht mehr von Fabriken, Technologie und Supermärkten abhängig zu sein. Einen Entzug aus der zivilisierten Welt machen.

Und so lerne ich mein eigenes Feuer zu machen. Zugegeben, es ist immer noch mit einem Feuerzeug angezündet, aber es ist ein erster Schritt. Ich lerne, wie ich Hühner halten kann und so aus meinen Essensresten Eier gewinnen kann. Dass ich keine Heizung brauche, sondern es mit ihr nur angenehmer ist (was nichts schlechtes ist, man sollte es nur wissen). Dass ein Lagerfeuer, eine Gitarre und ein paar Lieder besser sind, als jeder Film mit Werbeunterbrechung. Wie die alten Lieder nochmal gingen..

Und irgendwann lerne ich, essbare Pflanzen im Wald zu erkennen und welche Pflanzen gegen Krankheiten helfen.

Ein Franziskaner, der hier vorbeikam und kaum englisch sprach nannte mich „Wild man“ – „Wilder Mann“ und er sagte: „Wenn wir uns in Italien sehen, bist du noch wilder, ja?“ Ich werde versuchen ihn nicht zu enttäuschen und wer weiß, vielleicht kann ich irgendwann mit dem Wolf reden, wie der heilige Franz?

3 Kommentare

  1. Ich sollte mich wohl auch etwas auswildern, damit ich auch sagen kann: Mir könnte es nicht besser gehen. – Freut mich, dass dir das Freiluftleben so gut bekommt. – Muss sehen, dass ich auch mehr draußen bin. Aber da sind noch die Bücher und die vielen Dinge, die am Computer zu tun sind. – Als erstes fahr ich heute mit Zug und Rad zu meinem Arzttermin in HD und nicht mit dem Auto.

  2. Mit 11 oder 12 Jahren habe ich ansatzweise auch so gelebt; es war mein Ideal, aus der Zivilisation zu entfliehen (es war 1946/47). Und ich finde es wunderbar: den Hühnerstall im alten Bus und die diversen Herde oder Öfen – obwohl ich nicht so recht kapiert habe, wie die wirklich aussehen und funktionieren; z. B. Hühner haben sehr spezielle Bedürfnisse wie Stangen zum Draufschlafen und ein geschütztes Nest zum Eierlegen. Übrigens ist es mir damals nie gelungen, eine Glucke zu setzen (eine Henne zum Brüten zu motivieren), ich weiß nicht warum. – Ja, und heute bin ich so verwöhnt (64 Jahre später), dass ich nicht mehr einschlafen kann, ohne mich ganz gewaschen zu haben. Es muss nicht mit warmem Wasser sein.
    Weiterhin viel Freude am natürlichen Leben!

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