Zahnbürstenrevolution

Heute war ich beim Kieferorthopäden und habe eine Zahnbürste geschenkt gekriegt. Ich fand das ziemlich seltsam und dachte während die Kieferorthopädin mit ihren Fingern in meinem Mund war über Zahnbürsten nach – hauptsächlich um mich davon abzulenken, dass es ebenso seltsam ist, dass diese Frau, zugegebenermaßen mit großer Sorgfalt, in meinem Mund Metallstücke befestigt.
Als ich so dalag, auf diesem bequemen Zahnarztstuhl, kroch mir ein Ohrwurm in den Gehörgang und er hat mich seitdem nicht mehr losgelassen: Kennt ihr die Geschichte vom kleinen Johnny? – ein Lied das ich früher immer mit meinem Vater gesungen habe.
Es geht um den kleinen Johnny, dem Martin Luther King sagt er soll beim protestieren seine Zahnbürste dabei haben, denn wenn man ins Gefängnis kommt, muss man alles abgeben außer seiner Zahnbürste und deshalb ist die Zahnbürste ein Zeichen, das man bereit ist ins Gefängnis zu gehen.
Der Refrain geht mir nicht mehr aus dem Kopf:
„Hast du deine Zahnbürste dabei? Du wirst sie noch gebrauchen. Man sperrt heut noch viele Menschen ein, die gegen Unrecht sind.“

Mich haben zwei Sachen überrascht: Auf der einen Seite, dass ich mich überhaupt daran erinnere, weil ich nur ganz wenige Erinnerung aus meiner Kindheit habe, aber was mich viel mehr erstaunt hat, war radikale Botschaft, die dieses Lied hat:
Setz‘ dich für Gerechtigkeit ein und sei bereit dafür in den Knast zu gehen.
Für ein Kinderlied (und auch für ein Lied allgemein) ziemlich krass.
Im Endeffekt ist das Lied eine Neuformulierung dessen, was Jesus in Mk 8:34 sagt: (Lutherübersetzung): „Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“
Im römischen Reich mussten politische Umstürzler, die zum Kreuzestod verurteilt wurden, ihr Kreuz meist selbst bis zum Hinrichtungsort tragen. Sein Kreuz auf sich nehmen, dass heißt nicht irgendeine Bürde auf sich nehmen, wie zumindest ich früher immer angenommen habe. Es heißt nicht, nimm diese Gebote auf dich und dann kommst du in den Himmel. Darum geht es hier gar nicht. Es ist bloß meine seltsame Lesart, von der ich nicht weiß, wer sie mir beigebracht hat, wenn es um Glauben geht immer, gleich an den Himmel zu denken.
Es geht darum revolutionär zu leben, sonst bräuchte man kein Kreuz, sich der unausweichlichen Reaktion des Systems dann aber nicht zu entziehen, sondern sogar sein eigenes Kreuz mit zu bringen. Zu sagen: „Tötet mich doch, dieser Kampf war es wert. Ihr könnt nur meinen Körper töten, doch mein Zeichen wird mich überdauern und ich werde in Gottes Reich leben, dem ihr euch weigert unterzuordnen.“ – Ok, hier hat es doch wieder was mit dem Himmel zu tun…
Für mich ist es jeden Tag neu ein Kampf mein Kreuz oder wahlweise meine Zahnbürste auf mich zu nehmen, ein Kampf, den ich oft aufgebe, bevor er begonnen hat. Auch wenn, oder gerade weil, es sich gut anfühlt den Staat und die Schule zu kritisieren und in der Schule der radikale Typ zu sein, den alle nur Dschiises nennen und der sich jedes Mal neu darüber aufregt und zu jeder Meinung eine Gegenposition bezieht, sind meine radikalen Aktivitäten an diesem Punkt zu Ende – bis auf das gelegentliche Übersetzen für CPT Deutschland, oder MCN…

Das Lied formuliert diese Aussagen in einer Art, die Kinder verstehen können, aber es vereinfacht das Thema nicht. Es wird vielleicht sogar krasser, weil es Kinder verstehen können. Ich würde das Lied gerne mal im Kindergottesdienst singen, aber ich habe das Gefühl noch nicht würdig dafür zu sein. Ich muss erst noch eine lange Zeit meine Zahnbürste mit mir herumtragen.

6 Kommentare

  1. Dieses Lied kenne ich noch aus meiner Grundschulzeit. Seltsam ist jedoch, dass es sich immer wieder seit nun mehr 25 Jahren in meinem Kopf tummelt. Ich habe leider nur immer den Refrain im Kopf und finde leider weder den Text, noch das Musikstück an sich im Internet, was sehr schade ist, da ich doch mal interessiert bin wie nach der langen Zeit das Stück meinerseits interpretiert wird und in wie fern ich es wirklich noch kenne. Über die Lyrics oder gar das ganze als Musik wäre ich sehr dankbar wenn jmd. was findet!

  2. Ich kenne den Text des Refrains etwas anders:
    Hast du deine Zahnbürste dabei?
    Du wirst sie noch gebrauchen.
    Eines Tages sind wir frei.
    King hat es gesagt.
    Das war dann aber evtl. die Westvariante ….

  3. Arend, danke für den Kommentar. Ich habs gerade nochmal nachgeschaut und der Refrain scheint sich von Strophe zu Strophe leicht zu ändern.
    Deine Version ist später im Text.

  4. Auch ich (Holländerin) hab dieses Lied schon viele Jahre im Kopf. Ich habes gehört und mitgesungen auf ein Friedeslager irgendwo im Deutschland (in 1979, 1980?)
    Vor einigen Tage kam es wieder ganz zurück wenn ich las das Obama gesprochen hat beim bertigung des John Lewis. Das war der kleine Johnny der vater King begenet hat und seine ‚tootbrush‘ dabei hätte! Ich habe gelesen über sein Leben und jezt finde ich das Lied nog schöner!
    liebe Grüsse
    Henny

  5. Lieber Benni, ich bedaure, dass ich erst jetzt zufällig deinem Blog entdeckt habe. Zur Zeit ist mein Lied vom kleinen Jonny sehr gefragt.(Podcast NDR, Morgenandacht.
    Habe vor Publikum das Lied vor kurzem im Humboldforum Berlin gesungen, zum Thema >Demokratie jetztLiedermacher Fritz Müller BerlinDie Story vom kleinen JonnyDemokratie jetzt<

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