Adventlich-grammatikalische Offenbarung

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit;
es kommt der Herr der Herrlichkeit,
ein König aller Königreich,
ein Heiland aller Welt zugleich,
der Heil und Leben mit sich bringt;
derhalben jauchzt, mit Freuden singt:
Gelobet sei mein Gott,
mein Schöpfer reich von Rat.

So lange ich mich erinnern kann, hat mich dieses Lied in der Adventszeit verwirrt: „Der Herr der Herrlichkeit“, damit konnte ich etwas anfangen, das soll Jesus sein, auch die anderen Titel sind mir als treuem Kindergottesdienstbesucher einleuchtend gewesen, „König aller Königreich“, „Heiland aller Welt zugleich“, kennt man ja. Nun kommt ein Relativsatz, der erklärt, dass Jesus „Heil und Leben mit sich bringt“ und jetzt kommt noch ein Relativsatz, der besagt, dass Jesus „[…]halb jauchzt, mit Freuden singt“.

So habe ich es zumindest immer verstanden. Meine Vorstellung von Jesus war lange Zeit ein Typ, der verklemmt jauchzt und gerne Lieder singt. Was vielleicht in unsere Gemeinden passt, in denen bei Predigten fröhliches und freies Jauchzen verordnet wird, und immer wieder betont wird, wie gerne man doch singt…

Auf einer theologischen Ebene gesehen, ist das nicht Häresie? Ein Jesus, der halb jauchzt, ist das nicht eindeutig eine Leugnung der ganzheitlichen Doppelnatur Christi, der zugleich ganz Mensch und ganz Gott ist? Wenn Jesus hier nur halb jauchzt, ist er dann vielleicht auch nur halb Mensch – oder halb Gott, welche Natur ist eigentlich für das Jauchzen zuständig?!

Wer den Text weiter betrachtet, wird zu dem Schluss kommen, dass es wohl die menschliche Natur ist, denn Jesus singt ja anscheinend: Gelobet sei mein Gott // mein Schöpfer reich von Rat.

Gestern fiel es mir im Gottesdienst dann wie Tannennadeln vom Weihnachtsbaum: „Derhalben“ ist ja zusammen geschrieben… das ist ein Wort, das gar kein Relativpronomen ist sondern eine Subjunktion, ein Prototyp unseres guten „deshalb“. Doch keine Häresie, kein halbjauchzender Jesus, der gerne singt.

Dann sind aber „jauchzt“ und „singt“ Imperative – womit wir wieder beim verordneten Jauchzen wären…


Ein Kommentar

  1. Das scheint Familientradition zu sein, denn mir ging es ähnlich in den 1950er und 60er Jahren. Ich habs zwar nicht auf Jesus bezogen, sondern auf uns irdische Sänger. Aber warum nur jeweils die Halben singen sollten und was wir damit zu tun hatten und auch Halbe wären, das überstieg meinen Horizont, das konnte ich nur im Glauben annehmen. Bis mir irgendwann dämmerte, dass wir deshalb/derhalben singen sollen, weil all diese Attribute in Jesus erfüllt sind. Da wars vorbei mit dem Kinderglauben, obwohl es doch heißt, so ihr nicht werdet wie die Kinder.

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