Die Realität des gewaltfreien Widerstands wahrnehmen und fördern – Reaktion auf Bernd Kehren

In den Kirchen ist, wie auch in der Friedensbewegung und im Rest der Gesellschaft eine Debatte darüber entbrannt, wie der russische Angriff auf die Ukraine beendet werden kann. Ich habe in einem Text in der Eule auf die massenhaften AKte gewaltfreien Widerstands gegen die Invasion hingewiesen und anhand der empirischen Forschung von Chenoweth & Stephan zur doppelt so hohen Erfolgsquote gewaltfreier Bewegungen gefragt, warum die evangelische Friedensethik hier eine Leerstelle hat.
Meine Intervention war eher ein Nebenschauplatz, wurde aber in Zeitzeichen von Ralf Becker von der Initative Sicherheit neu denken aufgegriffen. Nun gibt es zahlreiche Reaktionen auf ihn. Die Fragen, die Bernd Kehren (und andere) aufwerfen, beschäftigen auch mich, auch wenn ich zu anderen Schlussfolgerungen komme. Hier mein Versuch einer Antwort auf seinen Text.


Danke für diese wichtigen Fragen!
Ich hoffe, dass Sie ähnlich tiefgreifende Fragen auch an die militärischen Optionen stellen? Oder liegt deren Wirksamkeit auf der Hand?
In meinem Text habe ich bereits eine Woche nach Kriegsbeginn auf die unglaublich vielen Akte des gewaltfreien Widerstands hingewiesen (1) seither gibt es noch viel mehr solcher Berichte, auch zur gewaltfreien Befreiung ganzer Ortschaften, die so zu Friedenszonen werden inmitten des Krieges(2).
Und das in Abwesenheit der massiven logistischen, finanziellen und intellektuellen Unterstützung die sie einfordern! All dies weist m.E. darauf hin, dass es gerade vor dem Hintergrund der zwei erfoglreichen gewaltfreien Revolutionen in der Ukraine in den letzten zwanzig Jahren, ein sehr breites Wissen über gewaltfreie Taktiken gibt, und durchaus auch informelle Netzwerke. Allerdings sollten diese ausgebaut und intensiviert werden, gerade auch transnational mit Kriegsgegner:innen und Zivilgesellschaft in Russland und Belarus (natürlich auf verschlüsselten Wegen, und evtl. über intermediäre Kanäle, z.B. in der EU), wie es auch von Friedensforschern gefordert wird (3).
Natürlich ist dies ein teurer Widerstand, der Opfer kosten wird. (4) Und natürlich kann es nicht angehen, dass wir das von unseren Sesseln aus fordern. Schon 1984 brachte der täuferische Theologe Ron Sider dies auf den Punkt und als er fragte, ob Christ:innen die gleiche Disziplin und Selbstaufopferung für die gewaltfreie Friedensarbeit aufbringen können wie das Militär für die Kriegsführung. Wenn wir wirklich glauben, dass Christ:innen in der Kraft und Liebe Gottes eine organisierte, gewaltfreie Alternative zum Krieg bewirken können, dann müssen wir dies auch leben. Als Antwort auf diese Frage gründeten Menschen aus den Historischen Friedenskirchen – Mennoniten, Brethren und Quäkern – vor 35 Jahren Christian Peacemaker Teams, nun Community Peacemaker Teams. (5) Mittlerweile gibt es mit Peace Brigades International und Nonviolent Peace Force mehrere solcher Organisationen, die in Konfliktgebieten gewaltfreien Schutz für Menschenrechtsgruppen bieten und Trainings in gewaltfreiem Widerstand. (6) Vielleicht wäre dies eine Gelegenheit, Erfahrungen in diese Richtung zu sammeln?
Eine tolle Möglichkeit ist das Ecumenical Accompaniment Program in Israel and Palestine des Ökumenischen Rats der Kirchen, das eine sichere und zeitlich befristete Einstieg in gewaltfreien Schutz und Menschenrechtsarbeit bietet. (7)

Links:
1: https://eulemagazin.de/die-macht-gewaltlosen-widerstands/
2: https://www.theguardian.com/…/russian-soldiers-release…
3: https://wagingnonviolence.org/…/ukrainians-could…/
4: Wenn auch wahrscheinlich weniger als der andauernde militärische Widerstand, der einen Putin einen Vorwand zur Bombadierung liefert und russische Soldaten und die Zivilgesellschaft ins Zögern bringt, ob es nicht doch ein ausgewogener Konflikt sei (so illusorisch das auch sein mag).
5: https://cpt.org/about/history,
6:: https://www.nonviolentpeaceforce.org/, https://pbideutschland.de/
7: http://www.eappi-netzwerk.de/

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