Mein Schutzheiliger

Heute ist St. Martin und im ganz Deutschland ziehen Kinder mit Laternen durch ihr Dorf, singen „Ich geh mit meiner Laterne“ und essen Martinsmännchen.

So lange ich mich erinnern kann, mochte ich diesen Tag. Der Umzug kommt direkt an unserem Haus vorbei und einige Minuten vorher hört man schon die Blaskapelle vorbeiziehen. Draußen ist es schon dunkel und die Laternen leuchten bunt, in die Dunkelheit hinein. Kinder rennen rum, werden auf dem Rücken getragen, werden immer wieder nutzlos ermahnt, ihre Laternen nicht so hin und her zu wackeln. Nie sieht man in Bammental so viele Kinder fröhlich singen und der unheimlichen Dunkelheit trotzen.

Es ist zumindest in B’tal auch Tradition, dass Grundschüler die berühmte Geschichte aufführen, in der Martin mitten im Winter seinen Offiziersmantel mit seinem Schwert teilt, um die Hälfte einem Obdachlosen zu geben, der nicht in die Stadt eingelassen wird. Bestimmt kennt ihr die Geschichte.

Ich glaube, dass der Sprengstoff dieser Geschichte gar nicht mehr richtig zur Explosion kommt, da wir sie schon so oft gehört haben, dasselbe Problem wie bei Weihnachten, oder Ostern.

Martin, der kleine Mars, entstammt einer militärischen Familie, der Vater ist Offizier und hat seinen Sohn gleich mal dem römischen Kriegsgott geweiht. Als Jugendlicher wird Martin Christ, ist aber schon im Militär. Die Kirche ist noch immer auf ihrem „radikal-pazifistischen“ Standpunkt, dass man seine Feinde nicht lieben kann, wenn man sie umbringt, weshalb Martin in der Armee bleibt, aber nicht kämpfen darf. Die Provinz Gallien, wo er stationiert ist, ist aber auch schon länger befriedet und er geht nicht auf Konfrontationskurs mit dem Militär. Voll der Mitläufer also.

Denkste. Der Mantel, den Martin teilt ist nicht sein eigener. Er ist Teil der Uniform und damit Staatseigentum. Ein Herrschaftssymbol. Und Martin zerschneidet es, um einem dreckigen Bettler Wärme zu spenden. Er zerstört Eigentum des Staates, weil dieser sich einen Dreck um die Ausgegrenzten schert. Das ist der erste Schritt von Martins Ungehorsam. Er sah in dem Bettler Christus und kleidete ihn.

Als der Kaiser die Truppen ein wenig später vor einer Offensive gegen die Barbaren versammelt, um ihren Kampfgeist zu stärken, verweigert Martin öffentlich dem Kaiser den Gehorsam, da er einem anderen Herrn dient, Jesus Christus, der ihm gebietet seine Feinde zu lieben. Um zu beweisen, dass er kein Feigling ist, bietet er an, nur mit einem Kreuz in der Hand, den Barbaren entgegenzutreten. Der Kaiser lässt ihn ins Gefängnis werfen. (Die Barbaren ergaben sich später ohne Kampf).

Auch später kritisiert Martin noch oft die Mächtigen, wird von der Volksmenge gegen seinen Willen gedrängt Bischof zu werden, und verteidigt vergeblich die Priscillianer vor Verfolgung zu schützen, obwohl er sie selbst für Ketzer hält.

Nach seinem Tod wurde er bald heilig gesprochen und sein Mantel (lat. cappa) als Reliquie verehrt. Die französischen Könige erwarteten davon Schutz und nahmen in mit in Schlachten, wo ein Priester, den Mantel trug (cappelani), daraus entwickelte sich der Begriff der Kapelle und des Kaplans. Die Militärseelsorger in der US-Armee heißen auch chaplains.

Heute ist St. Martin unter anderem Patron der Soldaten. Ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr die Kirche sich von ihren Wurzeln entfernt hat.

Mittlerweile nehmen die Kinder aus dem Anspiel beim Martinsumzug mit, dass Soldaten auch nette Menschen sind. Diese subversive Erzählung ist von der militaristischen Propaganda, die uns geprägt hat, usurpiert worden und hat ihre ursprüngliche Bedeutung verloren.

Ich schlage deshalb ein Moratorium auf diese Geschichte vor und denke wir sollten andere Geschichten aus Martins Leben dort spielen. Seine Verweigerung vor dem Kaiser zum Beispiel. Oder der Versuch die Ketzer vor Verfolgung zu retten.

Für mich ist St. Martin der Patron der Kriegsdienstverweigerer. Der Patron Franz Jägerstätters, der im Dritten Reich den Kriegsdienst verweigerte und dafür hingerichtet wurde, der Patron Phillipp Pereiras, einem Totalverweigerer aus der Umgebung Heilbronn, und mir, einem normalen Kriegsdienstverweigerer.

Es ist Zeit, dass diese Geschichten wieder erzählt werden, auf Martinsumzügen, in Predigten und Kindergottesdiensten.

Nachtrag: Ein wenig verspätet, aber jetzt trotzdem: Am Sonntag nach St. Martin habe ich mit den Kindern unserer Gemeinde im Kindergottesdienst über St. Martin gesprochen und wir haben Martinsmännchen und zerbrochene Gewehre gebacken.

Quellen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Martin_von_Tours

http://www.heiligenlexikon.de/BiographienM/Martin_von_Tours.htm

SoundOff, Dezember 2009, Volume 6, Issue 4

Bilder: http://www.sankt-martin-pfalz.de/extras/martinus/legenda.html

2 Kommentare

  1. Ich glaube nicht, dass unsere Kids kapiert haben, dass es hier primär um einen Soldaten geht. Meist steht das Pferd im Mittelpunkt, jeder möchte mal streicheln, traut sich aber nicht ran.
    Generell wird bei uns die Geschichte im Kindergarten aber recht gut „vorbereiet“, d.h. Martin als frühchristlicher barmherziger Samariter, der mit den Bedürftigen teilt, dargestellt.

    Ich kenne übrigens Soldaten, die ganz nett sind, und halte es weder für subversiv noch militaristisch, das auszusprechen.

    Würde St. Martin heute leben, er würde einem Feldwebel in Afgahnistan wohl ebenso nahe stehen wie Armen, Bettlern, Reitern, Flüchtlingen und Vertriebenen. Soldaten haben ihn als Patron nötig.

  2. Danke Markus, für deinen Kommentar, ich schreibe meistens ohne Reaktionen zu erhalten, also bin ich im Antworten auch noch etwas ungelenk. Hier meine Gedanken:
    Ja, es gibt Soldaten, „die ganz nett sind“ – bloß geht es in dieser Geschichte auch darum, wem Gehorsam geleistet wird und das Töten keinem Christen erlaubt ist. Das Problem ist vielleicht gerade, dass es nette Soldaten gibt, die immer noch Soldaten sind.
    „Soldaten haben Martin als Patron nötig“. Da stimme ich voll zu, nur glaube ich sie haben ihn als Herausforderung nötig ihre Mittäterschaft zu beenden und den Krieg nicht mehr zu lernen.
    Ich denke, dass Martin den Feldwebel in Afghanistan herausfordern würde, es ihm gleich zu tun und den „barbarischen“ Taliban unbewaffnet zu begegnen – genauso naiv und auf Gott vertrauend, wie er es damals auch tun wollte.
    Ich denke auch, dass St. Martin nicht einfach nur ein Wohltäter war, indem er Staatseigentum zerstört, um einem von der Gesellschaft ausgeschlossenen die Würde zurückzugeben, stellt er auch die Legitimation von Eigentum, sei es staatlich oder privat, in Frage.
    Wie siehst du das?

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