„Gefragt werden“ – Gemeindearbeit als Organisieren I

Seit ich mein Theologiestudium begann beschäftige ich mich immer wieder mit der Frage „Wozu braucht man eigentlichen einen Pastor? Und wozu nicht? Dabei stoße ich immer wieder auf den in den USA sehr verbreiteten hierzulande aber kaum bekannten Community Organizing Ansatz, in dem es weniger darum geht, Leute zu leiten im Sinne von Ton angeben, sondern mehr darum sie zu aktivieren und Menschen mit ähnlichen Interessen zusammenzubringen. Diesen Text habe ich mich vor Jahren nach einem Gemeindepraktikum geschrieben. Die Gemeinde nenne ich bewusst nicht. In diesem ersten Teil geht es ums „gefragt werden“ und um Anerkennung, der zweite Teil ist eine Einführung in Community Organizing, der dritte betrachtet konkreter eine Methode des Zuhören-Recherchieren-Handelns. Im letzten Teil stelle ich einige Thesen zu Pastorenarbeit als Community Organizing auf.

Im Gespräch mit einem Gemeindeglied im Bus erzählte sie mir von ihrem Engagement im Besuchskreis der Gemeinde. Die seelsorgerliche Arbeit des Besuchskreises empfand sie als „wichtig“ und ihr eigenes Engagement gab ihr „was zu tun“ und Anerkennung. Auf die Frage wie sie zu diesem Engagement kam, antwortete sie: „Ich wurde gefragt“. Ähnliches hörte ich von mehreren Mitarbeitenden in verschiedenen Bereichen der Gemeinde. Im Gemeindebrief fand ich dann den Wunsch der Pastoren, es mögen sich doch „neue Freiwillige finden, am besten ohne das man sie fragen müsste“.

Menschen arbeiteten immer dann mit wenn sie gefragt wurden, andererseits gab es eine Scham des Fragens. Hier zeigt sich, dass Mitarbeit fundamental mit dem Problem der Anerkennung verbunden ist. Mitarbeit generiert Anerkennung und schon die Anfrage, ob man mitarbeiten könnte, ist Anerkennung der Fähigkeiten einer Person.

Wie kann Mitarbeit gut enden?
Ein weiteres Problem ist das „Ende der Mitarbeit“. In der Gemeinde gibt es eine ganze Reihe von Menschen, die bestimmte Aufgaben schon sehr lange und auch sehr gut tun. Eine Predigerin der Gemeinde wurde nach einem Predigtdienst von 30 Jahren in der Gemeindeversammlung noch einmal gewählt! Die Wiederwahl war eine klare Anerkennung ihrer Gabe und ihrer Leistungen für die Gemeinde.
Gleichzeitig wurde somit kein Platz frei für eine neue Person.
Es fehlen Modelle, die Menschen einen würdigen Abschied aus einem Aspekt der Mitarbeit ermöglichen und ihnen dennoch eine bleibende Rolle im Gemeindeleben geben, in der sie die Anerkennung erhalten, die sie suchen.

Dilletantismus statt Perfektionismus
Damit verbunden ist ein weiteres Problem: Je länger eine Aufgabe von einer Person getan wird, desto selbstverständlicher wird diese Aufgabe für sie und desto mehr wird ihre Art die Aufgabe zu erfüllen, in den Augen der Gemeinschaft zur „richtigen“ Art es zu tun. Jemand neues wird sich unweigerlich an ihr messen müssen.
Ein sehr aktives Gemeindeglied sagte mir, sie würde nie einen Gottesdienst gestalten, da sie Angst hätte, „etwas falsch zu machen“.
Perfektionismus, der noch dazu für den partikularen Charakter seines postulierten Ideals blind ist, ist Gift für eine lebendige Gemeinde. Stattdessen braucht sie nicht nur eine aktivierende Gemeindepraxis, und Offenheit für Neues, sondern muss ein positives Verhältnis zu einem gewissen Dilettantismus entwickeln.

Diese Beobachtungen eröffnen ein weites Feld anschließender Fragen, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Stattdessen soll skizzenhaft der „Community Organizing“-Ansatz in der Tradition des US-amerikanischen Arbeitsrechtler Saul Alinsky dargestellt werden. Anschließend sollen Konsequenzen für Pastoren aufgezeigt werden, die sich selbst nicht als „Pfarrherrn“ sondern als aktivierende „Community Organizer“ verstehen.

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