Der beste Tag bis jetzt

Um die Spannung zu erhöhen und zeitlichen Ablauf und damit die innere Logik der zwei Beiträge nachvollziehen zu können, lest bitte erst den Artikel „Der schlechteste Tag bis jetzt“.

Aber wenn ihr nicht auf mich hören wollt, kann ich euch auch nicht daran hindern euch um die Spannung der Frage, ob Ben enttäuscht von der Welt Suizid begehen wird und eure Hoffnung, dass er es tuen wird, zu bringen.

Ich wachte also kurz vor 6 Uhr auf, holte mein gebleichtes Hemd von der Leine und versuchte mich an den Krawattenknoten und wie man ihn bindet zu erinnern. Es war nämlich der Tag der offiziellen Präsentation unserer Klassenkooperative „Cienco“ vor dem gesamten Bacchillerato (Klasse 10-12), den Lehrern und der Schulleitung. An den Krawattenknoten erinnerte ich mich nicht mehr und so musste Robert ihn mir wieder binden.

Schließlich in der Schule bereiteten wir alles vor, während ein Klassenkamerad Quake 4 (ein ziemlich krasser Egoshooter) mit den Pfeiltasten (!) spielte und seltsamerweise von der Konrektorin nicht bestraft wurde, als sie es sah. Die Frage ist für mich immer noch, ob er eine Strafe mehr für die Frechheit überhaupt zu spielen, oder dafür dass er mit den Pfeiltasten statt mit WASD steuerte verdient hätte.

Um acht Uhr fing die erste ordentliche Versammlung der Kooperative Cienco schließlich an und ich musste versuchen meine Flyer an den Mann zu bringen. Dann kamen endlose Vorträge über Kooperativismus an sich, unsere Kooperative im Besonderen, das komplette Manifest der Kooperative und einer Erklärung des Logos Das Logo unserer Kooperative, das typische Kooperativenlogo (zwei grüne Tannenbäume, oder Pinien auf goldenem Grund umrandet von einem grünen Kreis) erweitert um einen Buch und ein Reagenzglas, was den naturwissenschaftlichen und den wirtschaftlichen Zug repräsentieren soll, mit zweimaliger (!) Farberklärung.

Am Anfang des Vortrags musste ich sehr mit meiner Müdigkeit kämpfen, aber ich wurde immer wacher und fand es später echt interessant.

Eine Kooperative ist ungefähr dasselbe wie eine Genossenschaft, und hier in Paraguay sehr beliebt: Die Mennoniten im Chaco sind in Kooperativen organisiert und deshalb wirtschaftlich eine der stärksten Kräfte des Landes, es gibt auch Kooperativen eines Viertels, die sich gegenseitig Geld leihen, um ihre Häuser zu verbessern, oder große Mengen an Nahrungsmittel auf Großmärkten einzukaufen und dann ohne Gewinn an die Genossen zu verteilen.

Ich finde es eine geniale Fusion aus Kommunismus und Kapitalismus, und durch die kleine Größe wird Korruption durch sozialen Druck vorgebeugt.

Unsere Schulkooperative sammelt Geld, damit die Schüler bei ihrem Schulabschluss Geld für die Klassenreise haben. Außerdem geht ein Teil des Geldes in einen Sozialfond, um Schüler zu unterstützen, die wirtschaftlich noch viel schlechter dastehen als die anderen, oder die einen Unfall haben.

Die Vorstellung und anschließende Diskussion, vor allem um die Höhe des wöchentlichen Mitgliedsbeitrag war sehr interessant, vor allem weil ich alles verstand, was wohl an der Wirkung eines Mikrofons auf die Leute hat, langsam und deutlich zu sprechen.

Als die Versammlung schließlich aufgelöst wurde und wir alles aufgeräumt hatten, hatten wir keinen Unterricht mehr, sondern vierzig Minuten frei, um etwas zu essen, bevor wir nach Cateura, dem offiziellen Müllplatz von ganz Asunción fahren sollten. Ich ging mit einem der beiden Freunde, die ich nach Iguazu mitnehmen wollte (hah, hättet ihr doch den anderen Artikel gelesen! 😀 ) – und zwar dem, der nicht mitkommen würde. Ich erklärte ihm, dass es doch teurer sei, als ich gedacht hatte, und wir zwei ja noch woanders hinfahren konnten, zum Beispiel die Jesuitenreduktionen bei Encarnación. Er hatte Verständnis und meinte er hätte auch Probleme die Ausreisegenehmigung für Minderjährige zu kriegen und es wäre die bessere Entscheidung. Puh, das war einfacher und besser als ich gedacht hatte.

Ich kaufte noch Batterien für meine Kamera für den Ausflug. Im Colegio merkte ich dann, dass es die falschen („für Digitalkamera benutze Alkaline“, stand drauf; leider hieß das kauf andere, weil DIESE keine Alkaline sind) waren und rannte zurück, um neue zu kaufen. Dann musste ich die Kondirektorin noch überzeugen, dass ich mit auf den Ausflug durfte, auch wenn ich noch keine Genehmigung hatte. Ich hatte einen raffinierten Plan, wie ich sie am selben Tag noch nachreichen könnte, der aber wie die meisten meiner raffinierten Pläne nicht aufging. Ich werde die Unterschrift am Montag nachreichen.

Die Müllhalde war krass, wenn auch anders als ich dachte.

Sie war umgeben von einem Elendsviertel und die Leute von dort sortierten den Abfall. Wir standen auf einem stillgelegten Müllhügel der leidlich mit Erde bedeckt war. Vor uns ein neuer, riesiger Berg gepressten Mülls. Davor, ein Platz auf dem ständig Lastwagen und Pferdewagen (!) auffuhren und Müll auf- oder abluden und Leute diesen sortierten.

MüllsortierplatzElendsviertel, ein HausVögel über dem neuen MüllbergSlum

Am Anfang wunderte ich mich, warum es nicht stank, aber dann drehte sich der Wind und ich musste mir mein T-Shirt über meinen Mund ziehen.

Unser Führer erklärte uns, dass ein private Firma, die Leitung habe und die Stadt nur kontrollierte, ob sie alles richtig machten. Deswegen konnte ich auch die im Müll suchenden Kinder, die die Wörter Müllhalde und Südamerika bei mir assoziierten, nicht entdecken, wahrscheinlich gibt es noch genügend illegale Plätze wo sie arbeiten können.

Neben dem Müllplatz war ein See und unser Führer sagte, bei starken Regenfällen ist der Müllplatz und das Slum überflutet – ideale Seuchenvoraussetzungen…

Danach fuhren wir zum ältesten Müllhügel, seit 20 Jahren stillgelegt, der begrünt wurde und auf dem Bäume gepflanzt wurden. Eine gute Sache, da das Erosion verhindert und die Ästethik enorm erhöht. Unser Führer sagte die deutsche Botschafterin wolle auf dem Hügel auf dem wir vorher gestanden hatten einen Fußballplatz für die Kinder aus dem Slum errichten, mal sehen was daraus wird.

begrünter Mülhügel

Schließlich fuhren wir zurück und ich die Jungs mit denen ich fuhr, kamen noch kurz zu mir nach Hause und wir saßen ein bisschen rum und redeten.

Abends ging ich in die Gemeinde, wo wir eine Gebetsstunde hatten und ich auch fast alles verstand.

Dieser Tag war also das komplette Gegenteil von dem vorherigen. Jetzt ist es ein Tag später und noch geht es mir super.

Hoffen wir dass es so bleibt…

2 Kommentare

  1. MEIN COMING-OUT: Ich bin bekennender Krawatten-Verweigerer. Ich kann keinen Krawattenknoten binden. Aber ich bin kein durch und durch schlechter Mensch. Logischer Schluss: auch du, Benni, musst nicht notwendigerweise ein schlechter Mensch werden … 😉
    Ich lese deine Texte hier mit großer Freude; weiter so!

  2. hmm… Herr Wahl, wer sagt Ihnen denn, dass sie kein durch und durch schlechter Mensch sind?!
    Aber wenn man das mal beiseite lässt, ich überlege mir Krawattenverweigerer aus Gewissensgründen zu werden, ein Freund von mir, der Erfahrung darin hat Leuten in Uniformen aus den Institutionen, in denen sie diese tragen müssen, herauszuhelfen hat mir schon Beratung angeboten…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.