Das Sommerloch fehlt

In den letzten Monaten waren die Nachrichten noch ein wenig deprimierender als sonst. Normalerweise bringt die Tagesschau in ihrer Viertelstunde eine große Krise, um dann kurz etwas zur Innenpolitik zu machen und sich dann dem Sport und den wirklich wichtigen Dingen, wie Schumachers Comeback zu widmen.
Diesmal gab es vor lauter Blutvergießen in Gaza, Ukraine, Syrien und dem Irak manchmal gar keine Zeit mehr für Innenpolitik. Und Ebola musste auch noch Platz finden.
Man fragt sich, was aus dem Sommerloch geworden ist, dass im Sommer für lustige und unschuldige Beiträge über Zootiere und so was geführt hat.
Vielleicht gibt es das in Zeiten des Klimawandels nicht mehr, wie auch der Sommer unberechenbarer wird.

Mir jedenfalls fehlt das Sommerloch.

Außer Nachrichten über süße Tiergeburten und Promihochzeiten haben wir so auch nichts darüber erfahren, was nicht mehr in die Sendezeiten passt. Vor allem wenn es keine neue, große Katastrophe gibt, sondern die Zahl der Toten einfach stetig weiter steigt.
Bei einer Viertelstunde Sendezeit muss einfach abgewogen werden, und eine neue Terrorgruppe , oder vielleicht gar ein Comeback des Kalten Kriegs ist natürlich sexyer als die Abschottungspolitik der Europäischen Union, die auch nach Lampedusa mit einigen kosmetischen Änderungen einfach weitergeht.
Da geht es ja auch um die bösen Anderen, gegenüber denen „wir“ die Menschenrechte verteidigen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Jede Situation, wo Menschen entwurzelt, vertrieben und getötet werden ist schlimm. Ich würde auch zustimmen, dass bestimmte Konflikte größere Auswirkungen auf andere Gebiete haben, als andere.
Der Krieg in der Ukraine, die Gräueltaten des Islamischen Staates und alle anderen bewaffneten Konflikte, aber auch die Ebolaepidemie in Afrika, die letztlich auch wegen der Unterentwicklungspolitik der „entwickelten Staaten“ so verheerend ist, das alles will ich nicht kleinreden.

Aber auch Festung Europa tötet.

Durch unterlassene Hilfeleistung, aber auch durch „Pushback-Operationen“, in denen Boote voller Migranten einfach wieder aus EU-Wässern herausgeschleppt wird und dann zurückgelassen wird. Teilweise waren diese Boote schon seeuntauglich, teilweise werden sie es von der Küstenwache noch gemacht.

Aber auch in den „Willkommenszentren“ sterben Menschen, oder durch Polizeigewalt, oder einfach durch rechte Schläger, die von der Polizei nicht aufgehalten werden.

Und oft sind es gerade die, die vor den Konflikten, in die die Politik „um der Verantwortung willen“ fliehen, die in der EU wie Kriminelle behandelt werden. Für deren Asylanträge aber kein in dubio pro reo gilt.

Für dieses Sterben – um nicht zu sagen Morden – hat unsere Politik viel direkter Verantwortung und  sie könnte auch sehr viel direkter eingreifen, ohne militärische Gewalt anwenden zu müssen und auch die Folgen eines Politikwandels sind um einiges vorhersagbarer als die Frage in wessen Händen deutsche Waffen letztlich wofür benutzt werden.

In letzter Zeit musste ich mir so oft erklären lassen, wie naiv ich bin und wurde gefragt, was ein Pazifist denn in dieser Situation tun sollte. Natürlich waren meine Antworten unbefriedigend, selbst wenn mir meine Gesprächspartner wirklich zugehört hätten.

Das liegt daran, dass ich eben nicht in dieser Situation bin, und es auch noch nie war.
Was ich hier in Lesbos tue, wie auch vor drei Jahren in Palästina, ist der Versuch, diesen Menschen zuzuhören und ihre Antworten zu hören. Dadurch komme ich nicht in ihre Situation, was ich ehrlich gesagt auch gar nicht will. Niemand will Gewalt erleben, vertrieben werden, fliehen müssen.

Aber wir können mit ihnen stehen, ihnen zeigen, dass sie uns nicht egal sind, und wir können uns wehrlos dem entgegenstellen, was ihnen jetzt droht.

Aber vielleicht rechtfertige ich ja auch nur vor mir selbst, warum ich nicht im Irak bin und trotzdem sage, dass Waffen dort auch nichts besser machen werden.

Übrigens gibt es auch ein Christian Peacemaker Team im Nordirak, das dort kurdische Menschenrechtsorganisationen begleitet und sich z.B. für von IS verschleppte jesidische Frauen einsetzt.

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