Wo ist das Mitleid geblieben?

Vielleicht bin ich einfach zu sensibel, vielleicht kann ich meine Werte nicht einfach auf andere übertragen und von ihnen erwarten so zu denken wie ich. Aber was ich heute erlebt habe, hat mich so schockiert, dass ich immer noch darüber nachdenken muss.

In der Schule zeigte mir ein Klassenkamerad auf seinem Handy zwei Filme: Beim ersten handelt sich um eine Kastration eines Mannes durch einen wütenden Mob, was ich zuerst gar nicht begriff, erst als der Cumpañero es mir erklärte. Mir war schon ziemlich schlecht, aber gleich danach kam ein Film, in dem zwei vermummte einem dritten den Hals aufschnitten, bei dem ich wegging, als ich bemerkte verstand, das das Blut war, was da aus ihm rauslief! Währenddessen sagte mir der andere was ich leider schon wusste, dass die Filme echt waren und traurigerweise nicht gestellt.

Wegging ist eigentlich eine Untertreibung, ich stürzte zum Fenster, weil ich frische Luft brauchte, um nicht zu kotzen. Der Klassenkamerad lachte sich fast kaputt. Als ich beruhigt hatte, fragte ich ihn, ob er es lustig finde, das der eine jetzt keinen Penis mehr hatte (dieser spezielle Klassenkamerad ergibt sich immer in den Beschreibungen des Geschlechtsverkehrs, den er mit seiner Exfreundin hatte) und der andere gar nicht mehr lebte. Aber er lachte einfach weiter!

Das zweite Video hatte ein Mädchen aus unserer Klasse mitangesehen und sie redete weiter auf ihn ein, als die Lehrerin kam. Diese fragte dann natürlich gleich über welche Filme wir redeten. Ich wollte nichts sagen, weil Handys in der Schule verboten sind, aber die Klassenkameradin erklärte, dass wir über Videos, in denen echte Menschen umgebracht werden sprachen – schlauerweise ohne zu erwähnen, dass wir diese gerade gesehen hatten. Die Lehrerin redete erstmal über irgendeinen Ort in Bolivien, wo reiche Leute ihre Sex- und Gewaltphantasien verwirklichen, was sich für mich ein bisschen wie direkt aus dem Film „Hostel“ übernommen anhörte, aber von irgendwo müssen die ja auch ihre Ideen kriegen.

Schließlich klärte sie der Junge selbst darüber auf, was eigentlich gemeint war – er wurde seltsamerweise weder für das Handy noch für den Besitz der Filme bestraft; aber die Lehrerin sah sich die Filme auch nicht an – und wir stiegen in die Diskussion über den eigentlichen Punkt der Sache ein: Warum amüsiert es jemanden zuzusehen wie Menschen gequält und getötet werden? Als ich die Frage ziemlich direkt an ihn stellte, sagte er es wäre gar nicht der Film gewesen über den er gelacht hatte, sondern meine Reaktion. Was im Film passiere brächte keine Reaktion, weder Freude noch Trauer, in ihm hervor. So was passiere halt. Doch diese Antwort wirft doch nur zwei neue Fragen auf: Warum hat er die Filme dann auf seinem Handy, wenn sie ihm gar nicht gefallen? und Warum findet er es lustig (vielleicht sogar lächerlich), dass jemand noch genug Mitleid hat, dass er von Hinrichtungen und Kastrationen angewidert ist?

Darauf bekam ich keine Antwort von ihm, nur die Standartantwort der Lehrerin, das die Leute durch das FERNSEHEN, die FILME, die MUSIK und vor allem die COMPUTERSPIELE so an Gewalt gewöhnt seien, dass sie es als normal ansehen würden und das auch genau wie in der Offenbarung sei, wo stehe, das eine Zeit kommen werde, wo das Schlechte von der Welt als Gut angesehen würde. Die übliche Masche unpolitischer Christen – die Welt ist so schlecht, aber wir machen nichts, weil es Gottes Wille ist, dass diese Welt untergeht. Wie mich das aufregt!

Ich bin zwar ziemlich überzeugt, dass das womit wir auseinandersetzen uns prägt aber auf der anderen Seite müsste ich nach dieser einfachen Erklärung diese Filme auch toll finden. Der Unterschied zwischen Horrorfilmen, Musik und Computerspielen (oder auch Pen&Paper Rollenspielen) auf der einen Seite und einem solchen Film oder auch den Nachrichten auf der anderen ist für mich nur eine Sache: das eine ist Phantasie, das andere die Realität.

Auch wenn ich in einem Computerspiel gegen Banditen kämpfe ist das was ganz anderes als echte Schmerzen und Leid zu sehen. Weswegen ich auch immer versuche die Bilder aus den Nachrichten oder das tägliche Leid der Leute an mich heranzulassen, aber es scheint, dass mein Klassenkamerad das nicht so sah.

Ich fragte ihn noch, ob er, wenn er den Mord an einem Freund sehen würde auch denken würde: „Ach ja das passiert halt“. War aber wohl zu zynisch, weil die ganze Klasse lachte und ich keine Antwort erhielt.

Nach der Stunde kamen vier Schüler zu ihm und schauten sich den Film an, über den „der Deutsche“ sich so aufgeregt hatte – was so ziemlich das Gegenteil von dem war, was ich erreichen wollte.

Ich hoffe immer noch, dass ich hier noch soviel erlebe, dass ich diese Bilder vergessen kann, oder vielleicht sollte ich sie niemals vergessen?!

Ich habe dies unter Kulturschock gepostet, aber wenn man sich vor Augen hält, dass es in Deutschland dieselben Problem gibt, ist es vielleicht eher ein Kulturschock mit der Welt.

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