Hungern nach Würde

Wie üblich bin ich zu spät im Schreiben, aber ich wollte euch doch noch an dieser außergewöhnlichen Geschichte über disziplinierte Gewaltfreiheit im Angesicht von Unterdrückung teilhaben, die sich in israelischen Gefängnissen seit einigen Monaten abgespielt hat.

Es gibt circa fünftausend palästinensische politische Gefangene in israelischen Gefängnissen, davon 185 Kinder unter 18 Jahren und 9 Frauen.
322 von ihnen sind in sogenannter Verwaltungshaft, was bedeutet, dass sie ohne Anklage für bis zu drei Monate im Gefängnis sitzen, und dann werden die drei Monate einfach flugs erneuert. Seit der Entführung des israelischen Soldaten Gilad Shalits durch eine palästinensische Gruppe aus Gaza im Jahr 2008 wurden die Häftlinge systematisch ihrer Rechte beraubt und schikaniert, um eine frühere Freilassung Shalits zu erpressen. Die Gefangenen aus Gaza durften keinen Besuch mehr erhalten, manche Gefangenen sind für Jahre in Einzelhaft. Bildungsmöglichkeiten, wie Bücher, Fernstudium, oder Fernsehen werden den Gefangenen verwährt. (Quelle: www.weareallhannashalabi.wordpress.com)

Vor 77 Tagen hatten zwei Gefangene, Bilal Thiab und Tha’ir Halahleh, genug. Inspiriert vom Beispiel Khader Adnans und Hana Shalabis begannen sie einen Hungerstreik. Tausende Gefangene schlossen sich ihnen bis jetzt an und es gab zahlreiche Demos in palästinensischen Dörfern und Städten aus Solidarität. Der Zustand der beiden längsten Hungerstreiker wurde immer kritischer, das Internationale Rote Kreuz und andere Organisationen warnten davor, dass die beiden sterben könnten. Gleichzeitig wurde dieser gewaltfreie Akt, der große Disziplin verlangt und nur aus der größten Verzweiflung heraus begonnen wurde, von den meisten internationalen Medien und Regierungen ignoriert. Vor dem 70. Tag des Hungerstreiks gab es kaum Berichte in israelischen und westlichen Medien. Die Süddeutsche Zeitung beispielsweise berichtete am 13.5. das erste Mal, als Bilal und Tha’ir schon seit 75 Tagen keine Nahrung mehr zu sich genommen hatten und schon lange in Lebensgefahr schwebten.

Für heute war ein internationaler Solidaritätshungerstreik angesetzt, an dem ich teilnehme. Er fällt zusammen mit dem Jahrestag der Nakba, „der Katastrophe“ der Palästinenser, als die Zionisten am 15.5.1948 ihren Staat erklärten und ihre Kampagne der ethnischen Säuberung begannen.

Gestern haben die Gefangenen nun ein Abkommen mit Israel geschlossen. Die meisten ihrer Forderungen wurden erfüllt: Recht auf Besuche, Ende der Einzelhaft, die Verwaltungshaft wird nicht erneuert, die Häftlinge werden entweder angeklagt, oder entlassen.
Jetzt gibt es einige Gerüchte über das Zustandekommen dieses Abkommens: Der Rechtsanwalt der Häftlinge war nicht anwesend, sondern ein anderer, der ein zwielichtiges Image hat. Außerdem muss es Israel (und ihren Lakaien in der palästinensischen Autonomiebehörde) sehr recht sein, dass am Jahrestag der Nakba der Hungerstreik beendet ist, und somit alle ein wenig verwirrt sind. Es gibt keinen Märtyrer, an dem sich eine neue Intifada entzünden könnte.

Ich bin trotz allem froh, dass keiner der Häftlinge sterben musste, und dass sie ihre Würde wenigstens teilweise zurück erhalten konnten. Diese Menschen, die von Israel als Terroristen bezeichnet werden, haben mir eine große Lektion in Gewaltfreiheit erteilt.
Ich hoffe, dass dieser Streik auch dazu hilft das Selbstbewusstsein der Gefangenen und aller Palästinenser zu stärken: Sie konnten ihre Forderungen durchsetzen, obwohl die Welt sich kaum für sie interessierte.
Und letztlich hoffe ich, dass mehr Nachrichten über solche gewaltfreien Helden in unsere Nachrichten kommen.

Bobby Sands, ein irischer Hungerstreiker, der an seinem 66. Tag des Streiks starb sagte einmal: „Das Lachen unserer Kinder wird unsere Rache sein“ Tha’ir schrieb seiner 2-jährigen Tochter, die er noch nie gesehen hat diesen Brief.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.