Yom Kippur Verwicklungen

Letzte Woche am Samstag war Yom Kippur, der Versöhnungstag, an dem Gott laut der jüdischen Überlieferung das Schicksal für das nächste Jahr festschreibt. An diesem Tag bekennen sie ihre Sünden und versöhnen sich mit ihm . Außerdem ist Auto fahren verboten und die religiösen sowie viele säkulare Juden fasten.

Es ist der einzige Tag im Jahr, an dem die Flughäfen geschlossen sind, und es tatsächlich verboten ist, mit dem Auto zu fahren. Checkpoints zwischen Israel und der Westbank, sowie die Grenzen nach Jordanien und Ägypten sind natürlich auch dicht.

Ich war Freitag und Samstag ungewollt in Jerusalem, weil ich erwartet hatte, die Busse würden zwei Stunden vor Sonnenuntergang (= Beginn des neuen Tages, also Yom Kippur) noch fahren. Da das nicht der Fall war, musste ich also in einem Hostel übernachten, da die Freundin, mit der ich den Tag verbracht hatte, mich am heiligsten Tag des Jahres nicht bei ihren religiösen jüdischen Freunden einquartieren wollte. Nach Hostel und Abendessen war ich nun bei 12 Shekeln in meinem Geldbeutel angelangt, gerade genug, um nach Hause zu kommen.

Abends gingen wir dann zur Klagemauer und beobachteten die Massen an Gläubigen, die hier in der ewigen Anwesenheit JHWHs beteten.

Auf dem Weg zurück sahen wir, wie die nicht-Religösen und Kinder die Straßen zurückeroberten und sich ohne Handys und MP3-Player begegneten und lachten.

Am nächsten Morgen erkundeten wir Lifta, aber schon der Weg dorthin war ein Erlebnis: keine Autos auf den Straßen, die Stadt war leergefegt, ab und zu sah ich andere Touristen, einmal eine Gruppe von Israelis, die auf Fahrrädern die Autobahn entlangfuhren. Ich kam an Synagogen vorbei, wo tiefe Stimmen singend Bibeltexte rezitierten und die vom Blick von der Tür aus zu schätzen, so voll waren, wie Kirchen an Weihnachten.

Ohne Autolärm wirkte Jerusalem wie eine Geisterstadt und als wir in Lifta waren, musste ich immer wieder zu den Hochhäusern am Rand aufblicken, um mich zu vergewissern, dass ich noch in Jerusalem war.

Da nach jüdischen Verständnis der Tag mit dem Sonnenuntergang zu Ende ist, wollte ich am Samstagabend wieder zu Dahers Weinberg zurück. An der Busstation angekommen erfuhr ich, dass die Checkpoints trotzdem zu sind und der einzige Bus in die Westbank nach Azarija (Bethanien) fährt. Und er kostet sieben Shekel. Was soll’s, ich muss nach Hause, morgen muss ich arbeiten.

Im Bus nach Azarija denke ich über meine Möglichkeiten nach: Der Bus nach Bethlehem wird mehr als drei Shekel kosten, und dann muss ich noch ein Service (Sammeltaxi) nach Hebron kriegen, um am Kilometer 17 auszusteigen. Inzwischen ist es auch schon relativ dunkel, vielleicht gibt’s gar keine Services mehr. Bei wem könnte ich übernachten? Ich könnte auch trampen, aber bei der komplizierten Beschreibung wo ich hin muss und meiner schwachen Ortskenntnis wird das spannend.

Während ich so vor mich herdenke, steigen einige Leute aus dem Bus aus und ich höre, dass sie nach Al Khalil wollen. Al Khalil ist der arabische Name für Hebron. Der Bus nach Hebron fährt am Zelt der Völker vorbei!

Also steige ich aus, und ein, und verbringe die Fahrt damit herauszufinden, was „Es tut mir leid, ich habe nicht mehr Geld“ (Ana asif, andisch telmasit min almal) heißt, und nach meiner Haltestelle zu suchen. Der Junge neben mir spricht ein wenig Englisch und fragt mich, wo ich hin will.

Nahalin.
– Hä?, Nahalin ist in Ramallah.
Nein, ich war schon mal da, ich weiß, dass es hier auf dem Weg ist.
– Nein, Nahalin ist in Ramallah.

So geht es eine Weile hin und her, irgendwann fängt er an mir die Dörfer auf dem Weg aufzuzählen. Nahalin ist nicht dabei. Außerdem erkenne ich die Außenbezirke von Hebron. Der Fahrer fragt mich, wo ich aussteigen will und will den Fahrtpreis von mir haben. 20 Shekel. Inzwischen habe ich vergessen, das „Es tut mir leid, ich habe nicht mehr Geld“ „Ana asif, andisch telmasit min almal“ heißt und ich gebe ihm meine drei Shekel. Er ist sauer, aber die anderen Insassen lachen so laut, dass er mich doch nicht rausschmeißt. Mein Sitznachbar lädt mich zu sich nach Hause ein, aber ich lehne sein Höflichkeitsangebot ab, ich werde in der CPT-Wohnung schlafen. Der Fahrer lässt mich in der Nähe der Altstadt raus, ich finde den Weg zu den christlichen Friedensstiftern. Als ich ihnen meine Situation erklärt habe, kriege ich ein Bett und eine leckere Kartoffelsuppe, die übliche Übernachtungsgebühr entfällt und am morgen leiht mir einer von ihnen noch 20 Shekel, damit ich wieder zum Weinberg komme.

Ohne Yom Kippur wäre mein Wochenende wohl wenig bloggenswert gewesen.

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