Hündischer Ungehorsam

Seitdem ich mit Tieren arbeite, habe ich entdeckt, dass sie einen starken Freiheitswillen haben. Das Gatter der Ziegen muss mit einer Eisenkette geschlossen werden, und wenn ich vergesse, es noch mit einen Stein zu blockieren, brechen sie aus. Letztens hat ein Pferd einen kleinen Olivenbaum ausgerissen, an den es angebunden war.

Besonders widerspenstig sind aber unsere Hunde. Und das Schlimmste ist, sie benutzen für ihren Freiheitskampf Methoden des gewaltfreien Widerstands.

Wir haben sechs Hunde: Achlan, der Senior, der immer frei ist, tagsüber im Schatten rumliegt und die ganze Nacht hindurch bellt. Ricky, der angeblich aus der Siedlung hierher gekommen ist und sehr verspielt ist. Er ist tagsüber angeleint und nachts frei, weswegen er mich morgens immer ableckt, wenn ich aus meiner Höhle stolpere.

Diese beiden bereiten keine Probleme, da sie ja auch eine (fast) uneingeschränkte Bewegungsfreiheit haben.

Dann haben wir noch vier Brüder, Lucky, Mücke, Carlsberg und Franklinstein, die noch sehr jung sind und deswegen zusammen in einem Zwinger eingesperrt sind. Sie sollen einzelne Zwinger an den Grenzen des Grundstücks kriegen, um wilde Hunde und Eindringlinge zu vertreiben. Was aber wegen Materialmangels wohl noch eine Weile dauern wird. Der gemeinsame Zwinger ist nicht groß genug, weswegen wir sie eine Weile  immer nachts freigelassen haben, damit sie sich ein wenig austoben. Sie brachten aber sehr viel Müll von der Müllhalde vor unserem Grundstück auf die Farm, weswegen wir sie jetzt wieder einsperren. Tagsüber können wir sie nicht freilassen, weil die Touristen Angst vor ihnen haben könnten. Jetzt sind sie also immer eingesperrt.

Beziehungsweise sollten immer eingesperrt sein. Sie brechen nämlich dauernd aus. Wenn ich die Tür nicht richtig zugemacht habe. Oder sie schieben einfach drei Kilo schwere Steine weg und zwängen sich durch den Zaun.

Dann rennen sie auf dem Gelände rum und ich darf sie einfangen. Sie scheinen meinen Tagesrhythmus ziemlich gut zu kennen und brechen immer aus, wenn ich am schwächsten bin: Während des Mittag- oder Abendessens.

Ich stehe also auf und versuche sie einzufangen. Kurze Verfolgungsjagd, dann schmeißt sich Carlsberg auf den Boden und streckt mir die Füße entgegen. Ich greife seinen Nacken und will ihn überreden, mit mir zum Zwinger zu laufen. Er reagiert nicht. Ich schleife ihn einen halben Meter mit. Er jault. Ich lasse ihn los und schreie ihn, dass er mitkommen soll. Er bleibt liegen. Schließlich trage ich ihn bis zum Zwinger, sperre ihn wieder ein und versuche herauszufinden, wo sie diesmal rausgekommen sind. Spätestens einen Tag später brechen sie dann wieder aus.

Die anderen Hunde reagieren genau gleich. Keiner von ihnen versucht, mich zu beißen, oder zu kratzen. Keiner rennt weg, nachdem ich ihn gefangen habe.

Irgendwann geht es mir auf. Die Hunde üben gewaltfreien zivilen Ungehorsam! Oder hündischen Ungehorsam. Sie weigern sich, von mir eingesperrt zu werden aber wissen, dass Gewalt ihnen nicht helfen wird ihr Ziel zu erreichen. Ihre Taktik ist vielmehr mich zu ermüden, bis ich sie einfach nicht mehr einfange. Würden sie mich beißen, würde ich nur aggressiv werden und hätte eine Begründung, sie noch schlechter zu behandeln. Jetzt werde ich manchmal von den anderen Freiwilligen zurecht gewiesen, ich sollte netter zu den Hunden sein.

In der Tat ging ihre Taktik auch sehr gut auf; an einem Tag brachen sie drei Mal aus und nachdem ich sie zwei Mal eingesperrt hatte, ließ ich sie für die Nacht einfach draußen. Zum Fangen benutze ich inzwischen meistens eine Extraportion Hundefutter, wodurch sie ihre Forderung nach mehr Futter durchsetzen.

Die Methoden gewaltfreien Widerstands, die ich bei den Hunden identifiziert habe sind:

  1. Sitzstreik
  2. Nonkooperation
  3. Überwinden von Zäunen (Ausbruch aus dem Zwinger, Eindringen in das Freiwilligenareal.
  4. Boykott (Carlsberg verweigert seit gestern das Extrafutter, das ich benutze, um ihn einzufangen)

Gewaltfreier Widerstand dient dazu, Unterdrückung zu beenden und die Menschlichkeit der Unterdrücker herauszufordern, damit sie aufhören zu unterdrücken. Es gibt also zwei Parteien: Unterdrückte und UnterdrückerInnen (warum gendert niemand bei bösen Gruppen?) und gewaltfreier Widerstand ist die „Waffe“ der Unterdrückten.

Wenn die Hunde also gewaltfreien Widerstand üben, sind sie die Unterdückten. Aber halt, das macht mich ja zum Unterdrücker!

Aber ich bin doch kein Unterdrücker! Ich mache doch nur meine Arbeit! Immerhin müssen die Hunde eingesperrt sein, sonst machen sie überall hin, und bringen Müll hoch, erschrecken die Touristen! Ich bin ja sogar nett zu den Hunden! Manche meiner besten Freunde sind Hunde – zum Beispiel Ricky!

Alle diese Aussagen ähneln erstaunlich genau denen, die Unterdrücker weltweit benutzen, besonders diejenigen, die als Soldaten, Polizisten oder andere Diener des Staates den Status Quo erhalten. In meinem Kontext fallen mir da gerade die israelischen Soldaten als Werkzeuge der Besatzung ein. Die meisten Soldaten hassen es, den ganzen Tag Palästinenser am Checkpoint aufzuhalten. Aber es ist ihr Job und sie sind gesetzlich dazu verpflichtet. Sie kriegen diese Waffen in die Hand und müssen die Leute in Schach halten. Wie Jehuda Shaoul von Breaking the Silence sagte: „Probier du mal tausend Leute am Checkpoint unter Kontrolle zu halten. Es geht nur mit Angst. Also zählst du im Kopf ab und drangsalierst jeden 10. Palästinenser. So einfach geht das.“

Ich merke, wie die Hunde mich durch ihren gewaltfreien Widerstand ermüdet haben und ich den Konflikt eskalieren musste. Größere Steine um den Zaun herum. Vielleicht schmeiße ich die Hunde auch mal über den Zaun, statt das Tor zu öffnen, dann brechen nämlich die anderen wieder aus. Ich habe weniger Lust, ihnen Futter zu geben, oder sie gegen Läuse zu sprühen.

Jetzt habe ich den Zaun ziemlich stark befestigt, und sie schaffen es manchmal immer noch auszubrechen, aber sie werden immer stärker und es wird Zeit sie zu trennen und in größere Einzelzwinger zu bringen. Das ist aber immer noch Haft, sogar Einzelhaft.

Manchmal würde ich mich gerne den Hunden anschließen und mit ihnen zusammen nachts in Freiheit den Mond anheulen, den ganzen Tag auf der faulen Haut liegen und mich von Essensresten ernähren – ok, vielleicht doch nicht. Aber ich habe ja einen Vertrag unterschrieben und das Projekt ist ja eine wichtige Sache.

Wieder eine Argumentation, die Polizisten, die Demonstranten verprügeln, genauso wie Soldaten auf der ganzen Welt benutzen.

3 Kommentare

  1. Hi Benni, hast du nicht einen Freund, der sich Hundeflüsterer nennt und außerdem Konfliktmanagement studiert hat. Vielleicht kannst du dich mal an ihn wenden.
    Viel Erfolg Mama

  2. Snoopy von den Peanuts weiß auch sehr viel über hündischen Ungehorsam, ebenso Pluto von Walt Disney.

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